SCIFI FORTSETZUNGSROMAN
Lesen Sie hier den Dreiteiler von Dirk Tilsner aus dem Buch: Der Ursprungsplanet:
"Leandro", Mission zum Mars
(Urheberrechte und Copyright © by Dirk Tilsner)
Leandro stand an einer der Aussichtsluken des Brückenstands und beäugte die öde Marslandschaft, die sich im Halbdunkel bis an die nahegelegenen Hügel erstreckte. Wie erwartet von Titus keine Spur. Alles lief wie geplant. Der würde wie gewöhnlich erst etwa in zwei Stunden zurückkommen und vergeblich versuchen, sich auf die übliche Weise Zugang in das Schiff zu verschaffen. Denn Leandro hatte dieses vor Minuten sicher verschlossen, so, dass von außen keiner seiner Einstiege ohne direkte Mithilfe von innen möglich war.
Die Gefahr, die von seinem Gegner ausging, war gebannt, Leandro in Sicherheit. Er sann darüber nach, wie lange man es wohl als Android dort draußen in der eisigen Kälte der Mars Nacht aushalten könnte. Eigentlich war das unwesentlich, fand er. Selbst wenn Titus die ersten Nächte überstehen sollte, war sein Ende auf die Dauer unausweichlich; und auf dieses konnte Leandro jetzt in aller Ruhe warten. Die Mayflower-II gab ihm schließlich alles, was er brauchte, um sich für mehrere Monate am Leben zu erhalten. Diese Zeitspanne war ausreichend, denn das zweite Schiff der Expedition war bereits unterwegs.
Leonardo überlegte, nach welchen Parametern er seine maximale Überlebens-zeit berechnen könnte und beschloss, am nächsten Morgen eine präzise Bestandsaufnahme aller Vorräte und Zufuhr Stoffe der lebenserhaltenden Systeme durchzuführen. Nach einer ersten Hochschätzung dürfte das Raumschiff mehrere Jahre lang in seinem gegenwärtigen Betriebszustand funktionstüchtig bleiben. Der Nahrungsvorrat, kalkulierte er, müsste für einen einzigen Menschen jetzt ohne Mühe vier Jahre reichen, extra Vorräte als Kontingenz Maßnahme nicht einmal mit einbezogen.
Offensichtlich hatte man bei der Strategie, mehrere kleinere Schiffe und Besatzungen einzusetzen, aus der ersten, tragischen Erfahrung Lehren gezogen. Damals, im Sommer 2047, war er gerade zwölf Jahre alt gewesen und verfolgte, zusammen mit der gesamten Menschheit, die erste Expedition mit einer Besatzung von acht Astronauten, die eine Basisstation auf dem roten Planeten errichten sollte. Leider endete die Mission in einer Tragödie, als nach einem Kurzschluss in der Klimatisierung der Vorratsräume ein Brand mit einem Schlag mehr als drei Viertel der Lebensmittel vernichtete. Die Nachricht lief damals wie eine Schockwelle über die Erde; die Besatzung hatte plötzlich nur noch für drei Wochen Vorräte. Viel zu wenig, um eine Rettungsmission anzugehen und der Mannschaft zu Hilfe zu eilen. Die Katastrophe war somit unvermeidlich.
Das Schicksal der Mission faszinierte Leandro auf magische Weise für den Rest seines Lebens; er wollte Astronaut werden. Einen typischen Ausbildungsweg gab es dafür nicht, schon gar nicht in seiner chilenischen Heimat Valparaíso. Nach seinem Studium und einer Spezialisierung auf dem Gebiet der Raumfahrtmedizin, bewarb er sich hartnäckig mehrere Male bei bekannten, hauptsächlich chinesischen Forschungslabors und Unternehmen, bis er eines Tages sein Ziel erreichte; seine persönliche Beteiligung an der Mayflower-II Mission. Diese wurde von der Pacific Joint Agency (PAJOSpAg) und seinen bedeutendsten Mitgliedsländern, China, Japan und den USA, mit größter Diskretion über mehr als ein Jahrzehnt vorbereitet. Leandro war einer der aller-ersten Mitarbeiter. Die Einladung für die direkte Teilnahme am Flug kam jedoch völlig unverhofft erst vor drei Jahren.
Leandro wurde unvermittelt von der Signalleuchte und der mit ihr verbundenen Sirene aus seinen Erinnerungen gerissen. Titus war eingetroffen und verlangte Kommunikation mit der Brücke! Das Flackern und schrille Heulen dauerte eine geraume Zeit, um nach einer Pause von mehreren Minuten erneut zu erwachen.
Rrruuungb, rruuungb … lärmte die Sirene. Anscheinend war der Kommandant in der Zwischenzeit um das Schiff gelaufen, um alle möglichen Luken und Einstiege zu überprüfen. Leandro zögerte eine Weile. Eine Auseinandersetzung mit Titus würde nichts an der gegenwärtigen Lage ändern. Unter Umständen könnte er sich über den Zustand des andern ein klareres Bild machen und seine Schritte im Voraus durchschauen. Wobei diese ohnehin wenig Einfluss auf das Schicksal seines Kontrahenten haben dürften. Am Ende siegte die Einsicht, dass der Besitz von mehr Informationen immer ein Vorteil wäre: „Mayflower-II, Brückenkommandant Leandro. Kommen.“
„Brückenkommandant Titus! Leandro, lass die Spielchen und öffne bitte die Hauptluke!“
„Das ist mir aus Sicherheitsgründen nicht möglich.“
„Wie bitte? Welche Gründe sind das denn?“
„Du bist eine Bedrohung für die physische Integrität der noch lebenden Besatzung. Wie du jeden Tag persönlich hervorhebst, steht die Sicherung des Überlebens momentan an erster Stelle.“
„Bist du jetzt total durchgeknallt?“, dröhnte es durch den Brückenstand.
„Es geht doch wohl um unser Überleben, nicht nur deins! Und ich habe dir heute Morgen nochmals klar gemacht, dass wir uns beide gegenseitig brauchen, um durchzuhalten. Alles Weitere ist vorerst nebensächlich.“
Leandro schwieg, denn er wusste nur zu gut, dass sich der andere verstellte. Titus kannte alle Systeme an Bord auswendig und wäre in der Lage, sich aus jeder technischen Notsituation allein herauszuziehen.
Überraschenderweise verstummte das Signalsystem nach einer kurzen Weile. Titus hatte wohl eingesehen, dass er auf diese Weise seinen Kontrahenten nicht erweichen könne. Leandro indessen versuchte, sich abzulenken und bereitete sich auf die Nacht vor. Er entschied sich, heute Nacht nicht in seiner Kabine zu schlafen, sondern für den Fall der Fälle auf dem Brückenstand zu verbleiben. Immerhin war es seine erste Nacht als neuer Kommandant. Sein Abendbrot nahm er zur gewohnten Stunde zu sich; eine tägliche Routine und im Handumdrehen erledigt, denn es bestand aus nicht mehr, als aus einer einzigen Pille. Über diesen Umstand konnte man sich nicht beklagen. Man hatte die Pille schließlich extra für die neue Mission erfunden, um das Risiko eines erneuten Hungerdramas entscheidend zu verringern. Ähnlich wie beim Militär, bekamen alle einmal pro Tag eine komprimierte Kalorienbombe, die im Verlauf von 24 Stunden langsam vom Körper absorbiert wurde, ohne dass der Mensch in plötzliche Hungergefühle verfiele. Eine langweilige, aber geniale Lösung.
Kurz darauf löschte Leandro das Licht auf der Brücke bis auf die punktartigen Lampen, die in drei Reihen den Raum durchzogen: Nachtdienst-Beleuchtung. Als er schweigend im Sessel des Kommandanten saß und noch einmal die Ereignisse des Tages rekapitulierte, erinnerte er sich unwillkürlich an die letzten Worte Titus‘: „Sie war darauf programmiert, mit dir zusammen-zuarbeiten.“
Sein Rivale hatte sich damit endgültig verraten, ging es ihm durch den Kopf. Er wusste um Lu’s wahre Natur und musste folgerichtig wie sie Teil eines Planes sein. Doch welcher genau? Und wessen?
Wieder verfiel er in Erinnerungen der letzten zwei Wochen. Vom ersten Tag an war er von Titus und Lu nicht als gleichberechtigtes Mitglied der Besatzung behandelt worden. Als sie ihn aus dem Kryo-Schlaf holten, teilten sie ihm mit, dass bei der Landung sowohl die Triebwerke als auch das kryogenische System schwer beschädigt worden waren. Er war der einzige, bei dem, wie durch ein Wunder, die Temperatur noch nicht den kritischen Schwellwert überschritten hatte. Weniger als eine Minute später und er läge mit den andern Kadavern im ›Kühlschrank‹, wie sie es nannten.
Die Mission befand sich deshalb in einer Art Ausnahmezustand. Die Aufgabe bestand nicht mehr vorrangig im Projekt der Basisstation, obwohl Titus jeden Tag einen Teil der im Schiff verstauten Ladung mit dem ›Schlitten‹, wie der Kommandant sein Fahrzeug gern nannte, dorthin brachte. Nein, es bestand nach dessen täglichen Erläuterungen jetzt hauptsächlich im Überleben bis zum Eintreffen des bereits gestarteten Schwesterschiffs, mit der zweiten Gruppe der Mission, innerhalb drei Monaten. Titus hatte das Generalkommando inne, Lu war zweiter Offizier und Titus‘ Vertretung in seiner Abwesenheit, während Leandro in seiner Hauptfunktion als Arzt den andern beiden unterstellt war. Immerhin bedurfte es bei solch einer kleinen Besatzung auch seiner Hilfe bei allen möglichen Tätigkeiten an Bord.
Fortsetzung folgt......
Ist Leandro nun allein an Bord? Schwebt der Android Titus mit dem letzten Sauerstoff im Raum-Anzug im All? Oder gelingt ihm der Wiedereinstieg ins Raumschiff? Lesen Sie wie es weiter geht im April Newsletter oder hier, bei Dirk Tilsner.
Leandros Verhältnis zu Lu basierte von Anfang an auf gegenseitigem Misstrauen. Das lag vor allem an ihr. Sie versuchte mit allen Mitteln zu verhindern, dass Leandro dem Kommandanten irgendwie zu nahe kommen könnte. Hatte Sie irgendeine Aufgabe in ihrem Tagesplan zu erfüllen, erteilte sie Leandro sofort eine andere, die ihn zwangsläufig isolieren würde. Waren sie alle drei zusammen, beobachtete sie ihn bei jedem Atemzug aus den Augenwinkeln, unterbrach ihn bei jedem Wort und setzte darauf, an der pflichtgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben zu zweifeln.
„Leandro, hatten wir dich nicht darum gebeten, die Solarenergiespeicher zu warten? Die sind schon wieder auf 35 Prozent runter! Hast du gemacht? Ach was, das scheint mir gar nicht so, ich muss dir die Sache wohl noch einmal vorführen“, usw. usf.
Der Konflikt eskalierte vor zwei Tagen, als Leandros Boson Zähler auf unerklärliche Weise verschwand. Dieses auf Quantenmechanik basie-rende Werkzeug wurde bei fast allen Wartungsarbeiten als universelles Prüfgerät verwendet. Gerade an jenem Tag konnte er ohne dieses nicht die Aufgabe erfüllen, die ihm aufgetragen worden war; die Durchsicht des gravitativen Ausgleichsgenerators.
Leandro hatte nicht den geringsten Zweifel, dass er sein Werkzeug nicht unachtsam irgendwo liegengelassen hatte; jemand hatte es sich absichtlich angeeignet und verborgen. Nur Lu konnte dahinter stecken!
Titus war wie jeden Morgen um 09:00 Uhr Bordzeit aufgebrochen, um weitere Ladung zur Basisstation zu schaffen. Erst wenige Minuten später hatte sich Leandro seine Arbeitsutensilien geholt und sich dabei peinlich genau vergewissert, dass diese vollständig waren. Er rekonstruierte für sich jeden seiner Schritte der letzten Stunden und deduzierte mit absoluter Sicherheit, dass sich Lu nur in jenem Moment des Boson-Zählers bemächtigen konnte, als er an einem der Akkus arbeitete, welcher außerhalb des Schiffes direkt an den Solarflügeln montiert war. Was Lu im Detail bezweckte, war nicht ohne weiteres eindeutig.
Dennoch begriff Leandro, dass Lu auf Dauer eine Bedrohung für ihn darstellte. Er würde ihr zuvorkommen müssen.
In wenigen Minuten hatte er einen der Akkus demontiert und auf den kontronischen Levitator geladen.
„Lu, ich brauche deine Hilfe“ forderte er über den Bordfunk. „Komm bitte in die Ladeluke, ich kann einen der Akkus nur dort reparieren.“
Sie erschien erst nach einer geraumen Zeit und beklagte sich, nicht unerwartet, dass Leandro wieder einmal nicht in der Lage war, seine Tätigkeiten ohne ihre Unterstützung selbständig zu erledigen.
„Das geht schnell“, gab er zurück und schwenkte langsam den Akku in die Luke. „Zeig mir nur, wo das Ding genau hin muss, damit ich es korrekt zur technischen Überprüfung an das Testsystem anschließen kann“, als ob er die Position nicht genau kannte.
„Weiter in die Mitte nach rechts, nach rechts!“ hallte es aus der Luke zurück. Viel Platz gab es dort nicht, der innere Ausgang zum Schiff befand sich auf der gegenüberliegenden Seite der Ladeluke. Es fiel Leandro nicht schwer, Lu diesen Weg zu versperren und sie genau zwischen den Akku und die Wand zu locken. Mit einem plötzlichen Manöver schwenkte er den Arm des Levitators und drückte die völlig überraschte Lu mit dem Akku gegen einen der Träger in der Bordwand.
„Zurück nach reecch …“, kreischte sie vergeblich, bevor sie für immer verstummte.
Nach dem Eintreffen Titus‘ unterrichtete Leandro diesen sofort über den angeblichen Unfall. Der Kommandant stürzte unversehens in die Ladeluke und verharrte verwirrt vor dem Akku und dem dahinter leblos hervor hängenden Arm. Seine nächste Reaktion war erstaunlich beherrscht, er bediente selber den Levitator, um Lu freizugeben und zog ihren Leichnam hervor.
„Ich bin nur strikt ihren Anweisungen gefolgt“ entschuldigte sich Leandro. „Augenscheinlich hat sie rechts mit links verwechselt, ich konnte doch nicht ahnen …“
Titus erwähnte kein Wort und warf nur einen vorwurfsvollen Blick auf Leandro, als wäre er irgendwie verlegen. In diesem Moment begriff Leandro; aus Lus zerquetschtem Leib drängte sich ein Knäuel von syn-thetischen Geweben und Bauteilen, die nichts mit einem menschlichen Körper zu tun hatten. Vor ihnen lagen die Reste eines sogenannten HUMSYC – Humanoid Synthetic Form of Life, ein Android, ein biotronischer Schrotthaufen. Er war verblüfft, denn nach seiner Kenntnis waren HUMSYCs relativ primitive und vom Menschen leicht zu unter-scheidende künstliche Geschöpfe, willenlose und wenig intelligente Sklaven.
„Du wusstest, dass Lu …?“ – Titus erwiderte noch immer nichts. Er schien nach Antworten zu suchen, genauso wie Leandro; warum hatte man in so eine kleine Besatzung einen Android eingeschleust?
Darin bestand kein offenbarer Vorteil. Und warum hatte ihn Titus nicht eingeweiht? Hatte er von Lu’s Natur Kenntnis gehabt?
Allmählich stieg eine dunkle Ahnung auf: Wenn der Kommandant nichts gewusst hatte, müsste der eigentlich genauso ein HUMSYC sein!
Oder andersherum: Wenn er es gewusst hatte und Leandro dennoch nicht von diesem Umstand unterrichtete, dann musste Titus ebenfalls ein Android und mit Lu gewissermaßen verbündet sein. Ihre feindselige Haltung Leandro gegenüber erschien nun in einem andern Licht, wahr-scheinlich versuchten beide, ihn unter Kontrolle zu halten. Doch zu welchem besonderen Zweck?
Eine halbe Stunde lang hatte Leandro in seinem Gedächtnis gewühlt, als er unversehens aufschreckte. Ein merkwürdiges Geräusch hatte für einen kurzen Augenblick das monotone Summen aus den Schalt-schränken übertönt. Er horchte mehrere Sekunden gespannt. Stille. Da wieder! Ein metallenes Ächzen welches an einen im Sonnenwind kämpfenden Raumfrachter erinnerte. Sicherlich war es Titus, der sich verzweifelt abmühte, auf irgendeine Weise an Bord zu gelangen. Wahr-scheinlich macht er sich gewaltsam an einer der Luken zu schaffen. Nach kurzer Reflexion beruhigte sich Leandro; die Mayflower war für den Raumflug gebaut worden. Sogar mit einer Ladung herkömmlichen Sprengstoffs könnte man die Luken nicht ohne weiteres aufreißen. Jeder Versuch, sie mit speziellen Werkzeugen aufzubohren oder zu schneiden, wäre mehr oder weniger aussichtslos.
Leandro lauschte mit aller Anstrengung mehrere Minuten lang. Das Geräusch kehrte nicht wieder zurück. Er fragte sich irgendwann, was Titus mit ihm anstellen würde, wenn er doch ins Schiff gelänge. Seit jenem verhängnisvollen Tag, waren sie sich gegenseitig wie zwei feindlich gesinnte Raubtiere ausgewichen, jeder auf den ersten Fehler des andern bedacht. Titus hatte ihn noch gebeten, einen Boson-Zähler zu holen, als wolle er noch irgendetwas an Lu herummessen. Als Leandro zurückkehrte, hatte Titus Lu’s Überreste bereits entsorgt und ihm ohne eine weitere Erklärung das Werkzeug aus der Hand genommen.
„Sieh zu, dass der Akku wieder in Ordnung kommt, über den Rest reden wir später.“ Danach verschwand der Kommandant für mehrere Stunden in seiner Kammer. Als er wieder auftauchte, machte er einen entschlossenen Eindruck, rief Leandro zu sich und erklärte ihm eindringlich die Tagesplanung zu zweit und dass er absolute Disziplin verlangte, um das endgültige Scheitern der Mission zu verhindern.
Fortsetzung folgt .....
Wie entwickelt sich die Spannung zwischen den beiden? Bringt das erwartete Schwesterschiff die Lösung? Wie die Geschichte ausgeht, erfahrt Ihr im Mai–Newsletter oder hier bei Dirk Tilsner!
Natürlich schindete sein Gegner nur Zeit und suchte nach einem Plan, Leandro zu beseitigen. Die offensichtlichste Variante war die, den andern im Schlaf zu töten. Leandro konnte dafür nicht in Titus‘ Kabine, denn die war absolut gesichert, wobei jener als Android ohnehin keinen Schlaf brauchte. Gegen den letzteren zu kämpfen war für Leandro aussichtslos, die Müdigkeit übermannte ihn jeden Abend etwa um die- selbe Uhrzeit. Die letzten zwei Nächte versteckte er sich deshalb vorsichtshalber in einem der Belüftungsschächte. Glücklicherweise fand ihn Titus dort nicht. Nur als Leandro am nächsten Morgen wieder auf der Brücke erschien, fragte ihn der Kommandant mit einem bedeutungslosen Lächeln, ob er gut geschlafen hätte. In Wirklichkeit beobachtete ihn jener argwöhnisch auf Schritt und Tritt und wartete auf den geeigneten Augenblick, seinen Plan der Rache in die Tat umzusetzen. Leandro ließ sich nichts anmerken, grübelte aber unablässig, wie er seinem Rivalen zuvorkommen könnte.
Unerwartet beging Titus einen entscheidenden Fehler: „Leandro, morgen werde ich noch einmal zur Basisstation fahren. Du bleibst zur Sicherung des Schiffes auf der Brücke.“
Leandro stutzte, Titus war zwar bis zu dem Vorfall mit Lu jeden Tag allein zur Station gefahren. Er müsste Leandro aber unter den gegebenen Umständen mitnehmen, um ihn im Auge zu behalten. Immerhin war es nicht strikt notwendig, dass jemand auf dem Schiff verbliebe. Wenn Titus trotzdem darauf bestand, sich allein zur Station zu begeben, dann vielleicht, um sich irgendetwas für ihn Wichtiges zu besorgen. Was dies auch immer war, es gehörte zu seinen dunklen Plänen. In diesem Augenblick zündete Leandro der Gedanke, er bräuchte doch nur das Schiff zu verriegeln, so, dass Titus …, das war einfacher gesagt als getan, denn als Kommandant hatte Titus mehrere Geheimcodes, die für das Öffnen der Luken benutzt wurden. Darauf schien er sich zu verlassen. Man könnte aber irgendwie …, ja natürlich! Man könnte das Sicherheitssystem soweit beschädigen, dass die Luken nur noch von innen von der Hand zu bedienen wären.
Urplötzlich zuckte Leandro zusammen. Zunächst erfasste er nicht, was geschehen war. Er saß wie vorher im nur spärlich erleuchteten Brücken-stand und dennoch …, nach einem kurzen Flackern und Klicken war das monotone Summen der Schaltschränke leiser geworden, die Lichter weniger. Endlich verstand er, das Energiesystem hatte sich auf Not-Versorgung umgeschaltet! Oder war von jemandem umgeschaltet worden!
Er konzentrierte sich: Nein, er hatte den Zugang von außen für alle Luken unmöglich gemacht. Schwer war ihm das letztendlich nicht gefallen. Das Bedienungspad war mit demselben Material wie das gesamte Schiff geschützt, das heißt, mit einer Platte verkleidet, welche man nur mit einer Art Laserschlüssel öffnen konnte. Einen hatte Leandro selbst und einen persönlichen Code für jede Luke. Einmal geöffnet, hatte er die Bedienungsfelder und deren Sensoreinheiten zertrümmert und sich dann vergewissert, dass jede Luke nur noch mechanisch zu betätigen war. So hatte er eine nach der andern von innen verschlossen, wie in einer besetzten Festung.
Er grübelte, welche andern Ursachen für den Zwischenfall verantwortlich sein könnten. Um die Solarbatterien zu überprüfen, müsste er das Schiff verlassen. Ihm dämmerte, dass sie Titus nach ihrer Diskussion außer Betrieb gesetzt hatte. Die Batterien im Schiff waren unter einen kritischen Wert gesunken was zur Folge hatte, dass sich das Not- Energiesystem automatisch einschaltete. An diese Strategie seines Gegners hatte er in der Tat nicht gedacht.
Nach einigen Erwägungen beruhigte sich Leandro erneut; weiteren Schaden konnte Titus im Moment nicht anstellen. Das Schiff hatte Hilfs-Generatoren und einen geeigneten Treibstoff auch für diesen Notfall. Das Betriebshandbuch lag sicher dort im … .
„Meinst du wirklich, ich hätte nicht vorgesorgt und mir einen Eingang offen gehalten?“
Leandro fuhr herum. Wenige Meter vor ihm nahm er im Halbdunkel einen Schatten wahr. Titus! Leandro starrte auf die Gestalt und das Werkzeug in seiner Hand. Die Kontrolllämpchen ließen wenig Zweifel: Der Laserschneider war ein wichtiges Werkzeug an Bord, bis zu einer Entfernung von zwanzig Metern aber auch eine absolut tödliche Waffe.
„Wie bist du …? Hör zu, Titus. Wie du selbst sagst, wir brauchen uns gegenseitig. Ich hatte einfach nur Angst, es war ein Fehler. Das ist menschlich! Tut mir wirklich leid, kommt kein zweites Mal vor. Und solltest du mich jetzt einfach so kaltmachen, musst du dir immer noch eine gute Ausrede einfallen lassen. Du weißt, in wenigen Wochen trifft das Schwesterschiff ein."
Titus lachte kurz auf. „Weißt du mein Freund, dass es überhaupt kein Schwesterschiff gibt? Und, dass ich auch ohne dich nach Hause komme? Schau mal kurz auf deinen Bauch!“
Leandro senkte den Kopf. In einer Zehntelsekunde spielte er alle Auswegvarianten durch, holte tief Atem, spannte seinen Körper wie eine Feder und setzte zum Sprung an.
Zu spät: Im nächsten Augenblick sah Leandro sein letztes Bild, als ihn ein blauer Lichtstrahl jäh in zwei Teile trennte.
*****
Logeingabe 04-08-2053: Model ›Leandro‹ ebenfalls deaktiviert; Experimente somit abgeschlossen. Bestätigung der vorherigen Ergebnisse: Alle Testmodelle weisen eher durchschnittliche Intelligenz auf, leider auch irrationales Vorgehen in Stress-Situationen. Bei ›Leandro‹ zudem stark ausgeprägte Empathie Störung und paranoide Persönlichkeit, misstrauisch, leidet an Verschwörungswahn. Bereits nach wenigen Tagen stellen sich extrem aggressive Verhaltensmuster ein, für den Rest der Besatzung lebensbedrohlich.
Resultat: Negativ. Für die geplanten Einsätze vollkommen untauglich.
Titus schaltete die Logeingabe wieder aus und seufzte erleichtert. Seine persönlichen Aufgaben waren erledigt. Hatte er auf der einen Seite alle Entladungsarbeiten erfolgreich ausgeführt und mehrere Tonnen Material in die neue Basisstation geschafft, war der zweite Teil der Mission ein ausgesprochener Reinfall. Zwar glaubten alle Modelle des neuen HUMSYC-Spitzenproduktes an ihre menschliche Natur, zumindest in ihrer isolierten Arbeitsumgebung, so wie man es für die zukünftigen Einsätze vorgesehen hatte. Dennoch waren die künstlichen Geschöpfe nicht einmal imstande, zu zweit problemlos wenige Tage allein miteinander auszukommen. An einen selbständigen, permanenten Einsatz auf dem Mars war nicht im Traum zu denken.
Sicherlich würden die wirklichen Auftraggeber der Mission, die Vertreter der Red & Yellow River Mining Corporation, nach der Rückkehr unangenehme Fragen stellen. Offensichtlich hatten sie zu viel Vertrauen in ihre japanische Partnerfirma und deren Hi-Tech-Labors gehabt. Auch die PAJOSpAg würde wissen wollen, wohin die Millionen von Forschungs-Geldern geflossen waren und zu welchem Nutzen, wenn die neuen HUMSYCSs nicht nur wertlos, sondern für den Menschen sogar gefährlich waren. Nur eines schien sicher: Die Corporation würde sich die Vorrechte auf dem Mars mit Erfolg sichern, denn dazu waren sie ja in erster Hinsicht hergekommen. Titus und die andern Besatzungs-Mitglieder, die seit Wochen die Basisstation mit den Materialien errichteten, die ihnen Titus Teil für Teil gebracht hatte. Noch zwei weitere Tage und sie wären alle wieder auf der Mayflower vereint, um die Heimreise vorzubereiten. Der letzte und schönste Abschnitt der Mission würde dann endlich beginnen: die Rückkehr zur Erde.
Titus war froh, nicht noch eine dieser merkwürdigen Kreaturen aus dem vorgetäuschten Kryo-Schlaf holen zu müssen. Auf irgendeine Weise gesellig war keines der Testmodelle gewesen; sich dem mechanischen Abspulen eingespeicherter Erinnerungen auszusetzen, war für den Menschen alles andere als ein unterhaltsamer Zeitvertreib. Noch verdrießlicher war es für Titus, seine Mahlzeiten heimlich und versteckt in seiner Kabine zu sich nehmen zu müssen, denn die vermeintlichen Ernährungsersatzpillen hatten natürlich keinerlei Wirkung. Nein! – Auf der Rückreise würde er jeden Tag mit den andern auf dem Brückenstand speisen.
Er dachte nun an die letzte Mahlzeit, mit der sich die Crew vom Mars verabschieden würde. Ein paar Flaschen von seinem Lieblings-Château hatte er sich vor Monaten eigens für den Tag des Heimflugs bestellt.
Wildbraten sollte recht gut dazu passen.
ENDE
Bei all den erfolgreichen Buchautoren, Filmemachern, Musikern, Künstlern und Unternehmern, sind viele junge Menschen geneigt, ihnen nachzueifern. Sie versuchen, es ihnen gleichzutun und beginnen, das Erschaffene dritter zu kopieren. Das ist der erste Fehlschritt eines Newcomers. Er lässt außer Acht, dass gerade die Erfolgreichen, mit eigener Kreativität zu Werke gingen und deswegen erfolgreich wurden. Deshalb unser Aufruf: Gehe Deinen eigenen Weg, verwirkliche Deine Ideen und erschaffe Deine eigenen Werke.
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