HANNELORE FUTSCHEK

 

Ausschnitt aus einem Lokalblatt aus Österreich:

 

Es ist wie verhext! Unserer Jugend ist es heuer nicht gelungen, einen einzigen Maibaum aufzustellen, geschweige denn Maisteige zu ziehen! Die Männer waren teils kraftlos, teils hatten sie keine ruhige Hand. Wie, wenn sie kurzfristig an einer sonderbaren Krankheit gelitten hätten. Was könnte wohl der Grund dafür sein?

 

 

Die Nacht der Nächte

(Urheberrechte & Copyrights © by Hannelore Futschek) 

 

 

„Ruhe! Seid doch alle still!“, ruft Endora erbost und klatscht mit ihren knöchernen Fingern die Hände zusammen. Disziplin wäre gefragt, aber in der alten Tropfsteinhöhle am Dachstein geht es zu wie im Hühnerstall. Das Gegacker der jungen Hexen ist unerträglich. „Früher hätte es so etwas nicht gegeben! Könnt ihr wohl endlich still sein, ich kann euch sonst nicht unterweisen!“, versucht es Endora zum zweiten Mal, aber sie hat keine Chance. „Wenn ihr nicht sofort eure Mäuler hält, hole ich Gwendolin, die euch alle verzaubern wird! Und zwar für immer!“ Das hat anscheinend gewirkt, denn plötzlich sind alle sieben Jung Hexen ruhig. Sie nehmen jede auf einem Stein ihren Platz ein und warten, was passiert.

 

„Ihr habt viel zu lernen, ehe ihr den Fürsten der Unterwelt kennenlernt!“, erklärt Endora nun mit einem verklärten Lächeln im alten, faltigen Gesicht. Natürlich hat sie auf ihrer Nasenspitze eine große Warze, aber die fällt kaum auf, denn sie trägt eine verbogene Nickelbrille. Die grauen Haare sind zu einem Turm zusammen-gedreht und mit Hühnerknochen festgesteckt. Aus der Spitze des Haarturms ragt eine Pfauenfeder. Die Krempe eines alten Filzhutes hält das Kunstwerk zusammen. Sie trägt Filzpantoffel und ein zerschlissenes, braunes Kleid. Über den Schultern baumelt das Fell eines toten Fuchses. Cassiopeio, ein schwarzer Rabe mit einem mittigen Auge und Fledermausohren sitzt auf ihrer rechten Hand. Für die Jung Hexen ist das kein ungewöhnlicher Anblick, denn auch Gwendolin, die Chefin des hiesigen Hexenkreises sieht nicht viel besser aus. Während Endora noch einmal hüstelt und zu sprechen beginnen will, schreit eine Jung Hexe hysterisch auf.

  „Ah, verdammt, ist das nass!“ Sie sitzt unter einem riesigen Stalaktit, der minütlich einen Wassertropfen fallen lässt.

   „Such dir einen anderen Platz und lass mich endlich beginnen!“, faucht Endora leicht erbost.

 

„Heute widmen wir uns zuerst den Zaubertränken und wie man sie zubereitet!“ Ein Raunen geht durch die Menge.

 „Hat jemand von euch schon eine gewisse Ahnung beziehungsweise Vorkenntnisse?“ Schweigen in der Höhle, nur das Herabfallen der Wassertropfen unterbricht die Stille.

   „Wisst ihr, welche Zutaten wir benötigen, um einen Zaubertrank herzustellen?“, erkundigt sich Endora nun mit einem tiefen Seufzer. Schweigen, die Zweite!

  „Gut, dann nehmt euer Tablet, ich diktiere“, ordnet sie an.

„Im Grunde genommen hättet ihr schon bei Google nachschauen können, aber ihr seid offenbar zu wenig interessiert an den Ingredienzien."

 

„Draußen ist es nebelig, wäre es da nicht klüger, wenn wir unsere Flugkünste verbessern, anstatt hier zu sitzen und uns mit den Utensilien für einen Zaubertrank herumzuschlagen?“, ruft eine Jung Hexe aus dem hinteren Teil der Höhle. Endora bewegt sich langsam auf die Aufmüpfige zu.

  „Wie ist dein Name? Dich kenne ich ja gar nicht!“ Die kleine, rothaarige Hexe erhebt sich. „Miradola!“, sagt sie und blickt ihrer Lehrerin seelenruhig in die Augen, die violett und grün sind.     

   „Erstens! Man schaut einer Hexe nicht in die Augen! Und zweitens! Ich bestimme den Lehrplan und nicht du!“ Endora schreitet wieder in die Höhlenmitte, damit sie von allen Schülerinnen gesehen wird.

   „Also wir brauchen außer Strychnin, Terpentin, Arsen, Curare und Petroleum, die Augen von einer Fledermaus, Früchte vom mongolischen Dattelbaum, gelbe Algen aus einem Süßwasserteich, alten Hühnerkot, ein geplatztes Spinnenbein, einen großen Zapfen der sibirischen Rottanne, den Saft von Orangen, Malz und noch viel, viel mehr!“ Endora sieht sich in der Runde um. Alle jungen Hexen tippen wie verrückt auf ihren Tablets.

   „Einige Zutaten kommen mir sehr bekannt vor, hatten die Gallier sie nicht schon in Verwendung?“, fragt Miradola neugierig.

   „In der Tat haben uns vor langer Zeit die Ägypter einen Teil unserer Rezepte gestohlen. Später haben sich die Gallier diese Mischungen zu eigen gemacht. Aber wir Hexen verfügen natürlich über alle Originalrezepte!“, erklärt Endora.

 

  „Und woher bekommen wir das Zeug?“, will Zelda, die neben Miradola sitzt, nun wissen.

   „Wenn wir einen Trank mischen, werden alle Utensilien zur Verfügung stehen! Derzeit sollt ihr nur wissen, was man alles benötigen kann! Wir versuchen heute nur einen Zaubertrank von vielen und ihr wisst ja noch nicht einmal, was man mit dem, den wir als Erstes brauen, anstellen kann. Was glaubt ihr?“ Ein Säuseln geht durch die Höhle. Wieder hüstelt Endora.

   „Gebt ihr diesen Trank an junge Männer ab, so können sie in der Walpurgisnacht keinen Maibaum auf dem Dorfplatz aufstellen, weil ihnen die Kraft fehlt. Sie können auch keinen Maisteig ziehen, weil sie zittern!“ Wieder ist es Miradola, die aufzeigt, weil sie eine Frage hat.

   „Was ist ein Maisteig?“, will sie wissen.

„In manchen Teilen Österreichs wird in der Walpurgisnacht zwischen den Häusern zweier Liebenden ein aus Kalk und Öl zusammen gemixter, breiter Strich auf der Straße gezogen, den man nicht leicht entfernen kann!“ Miradola ist mit der Antwort noch nicht richtig zufrieden.

   „Warum?“, fragt jetzt auch eine andere Jung Hexe.

„Meist wissen die Eltern der Liebenden noch nichts von der Verbindung der Jugendlichen und am Morgen nach der Walpurgisnacht sieht die gesamte Bevölkerung, wer mit wem liiert ist. Das kann schon unangenehm für das betroffene Paar sein!“ Miradola und ihre Nachbarin nicken.

   „Verstehe, und wenn wir denen, die die Maisteige machen wollen, den Zaubertrank geben, sind sie nicht in der Lage, mit Kalk und Öl zu hantieren, weil sie die ganze Farbe verschütten werden!“, stellt Miradola besserwisserisch fest.

   „Und am übelsten wird es, wenn die Burschen den Farbeimer just vor dem Haus eines Pfarrers fallen lassen, denn dann gerät seine Keuschheit in schlechtes Licht!“, ergänzt Endora und versetzt durch ihr böses Hexenlachen die Schülerinnen in Angst und Schrecken.

 

„Seht her, ich beginne mit dem Gebräu!“ Endora entzündet das Holz unter dem großen Kupferkessel und schüttet einen Eimer Wasser hinein.

  „In diesem Fall nehmen wir nur harmlose Pflanzen und etwas Alkohol, gewonnen aus den Früchten des mongolischen Dattelbaumes. Dazu kommen Malz und eine Prise Salz. Nicht zu vergessen ist der Extrakt von Passionsblumen, Baldrian und Lavendel, Orangensaft und geriebene Hopfendolden!“ Die Jung Hexen sehen begeistert zu.

    „Ein paar gelbe Algen schaden auch nicht“, fährt Endora mit ihrer Erklärung fort.

   „Wir lassen das Ganze sieben Minuten wallen und kochen, dann ist dieser Zaubertrank fertig!“

 

    „Einstweilen widmen wir uns aber anderen Dingen!“, setzt sie den Unterricht fort.

  „Wie sieht es mit der Religion aus? Habt ihr die `Alte Religion` schon verinnerlicht? Unsere Vorfahrin, Hexe Mangana folgte dieser Religion, die wir Wicca nennen. Wer darüber noch nichts weiß, dem kann ich einen USB-Stick leihen und ihr könnt zu Hause in Ruhe nachlesen, worum es geht!“

 

Endora wirft einen Blick auf die alte Kuckucksuhr.

   „Die Zeit ist um, der Zaubertrank ist fertig. Jetzt muss er mit Bier versetzt werden. Zu dem Zweck haben Gwendolin und ich uns in die Brauerei Hexenglück schon mehrmals eingeschlichen und das tun wir auch heute. Das dort erzeugte Bier bekommt ein paar Tropfen, ehe die Flaschen verschlossen werden. Ihr müsst nämlich wissen, dass die jungen Männer sehr gerne Bier trinken. Und damit sie genau dieses kaufen und konsumieren, machen wir in den Medien gehörig viel Werbung. Sie können praktisch nicht an dem heurigen Hexenglück vorbei!“

 

Nachdem die Unruhe in der Tropfsteinhöhle immer größer wird, beschließt Endora, den Unterricht zu unterbrechen.

   „Ich sehe, ihr seid nicht mehr aufmerksam! Ich schlage daher vor, dass ihr nun eure Reisigbesen nehmt, und wir fliegen ein paar Runden. Ihr müsst flugsicher sein, wenn ihr in der Walpurgisnacht den Fürsten der Finsternis besucht und dort euren Hexentanz aufführen werdet. Natürlich sind da auch ältere Hexen dabei, aber Mephisto, so wird der Fürst genannt, liebt junge Hexen über alles. Und Fliegen allein wird da nicht reichen, ihr werdet euch auch ordentlich herausputzen müssen!“

 

Agete, eine kleine Hexe mit rosa Haaren und kohlrabenschwarzen Augen zeigt auf.

   „Was meinst du mit herausputzen?“, will sie von Endora wissen. „Ihr benötigt farbenprächtige Kleider, Schmuck und eine ordentliche Frisur, schöne Schuhe und einen sauber geputzten Besen!“, erklärt die Lehrerin. Wieder ist es Miradola, die fragt.

  „Wo sollen wir das alles herbekommen? Wie hast du dir das gedacht?“ Endora lacht.

   „Seid ihr Hexen oder seid ihr keine Hexen!“, ruft sie in die Menge. „Ja, das ist eine gute Frage, das wissen wir eigentlich nicht so genau!“, wirft Agete, die kleine Hexe mit den rosa Haaren ein. Endora steht kurz davor, die Geduld zu verlieren.

   „Wer hat euch heute zum Unterricht gebracht? Wer wartet auf euch im großen Pflaumengarten?“, fragt sie mit erhobener Stimme.      „Mich hat meine Mutter hergebracht“, rechtfertigt sich Miradola. „Weil sie sagt, dass ich eine Hexe bin, muss ich es ihr glauben“, fährt sie fort. Endora nickt und geht bedächtigen Schrittes nun durch die Höhle. Sie bleibt vor jeder jungen Hexe stehen, sieht sie an, nickt und geht zur nächsten.

  „Die meisten von euch haben feuerrotes Haar! Das ist schon einmal ein gutes und sicheres Zeichen. Auch erkenne ich, dass die Hautfarbe nicht bei allen weiß ist, sondern von kaffeebraun bis ockerfarben reicht und die meisten haben zwei verschiedenfarbige Augen. Also eines ist blau, das andere grün, oder kohlrabenschwarz. Jede Mischung ist vorstellbar und möglich!“ Endora bleibt bei einer Schülerin stehen.

   „Wie ist Dein Name?“ Die junge Hexe schluckt.

„Rena! Ich heiße Rena!“ Endora bemerkt, wie Renas Gesicht sich rötet. Cassiopeio, der Rabe beginnt in einem schrillen Ton zu krähen.   

   „Wer ist deine Mutter?“, will Endora wissen.

„Meine Mutter heißt Eleda, aber sie ist nicht hier. Ich bin allein hergekommen!“ Jetzt ist die Lehrerin verunsichert, auch weil sich der Rabe normalerweise immer still verhält, außer wenn er Gefahr wittert. Sie begutachtet Rena noch ein paar Sekunden, geht dann aber zur nächsten Jung Hexe.

  „Man kann auch einen Test machen, um genau zu wissen, ob jemand eine Hexe ist oder nicht. Hat eine Hexe Muttermale, dann sind das Male des Teufels. Sticht man in so ein Muttermal und es kommt kein Blut, dann steht fest, dass es sich um eine Hexe handelt!“, fährt Endora mit ihren Erklärungen fort und beobachtet, wie Rena die Hemdsärmel, die sie aufgedreht hatte, langsam in Richtung Handwurzel abrollt. Sie wird es Gwendolin erzählen müssen, sagt sich Endora.

 

„Also, wie kommen wir zu Gewand, Schmuck und Schuhe?“ Miradola lässt nicht locker.

   „Ehe wir uns hier verzetteln, machen wir einen kurzen Rundflug! Ich will, dass sich eure Gemüter wieder etwas abkühlen. Auch als Hexe braucht man einen kühlen Kopf!“, ruft Endora in die Menge. Sie geht zum Höhlenausgang, schnappt sich ihren alten Besen und gibt das Kommando.

   „Mir nach, wir machen jetzt erst einmal einen Erkundungsflug rund um den Pflaumengarten, damit eure Mütter sehen können, wie ihr euch so anstellt beim Fliegen!“ Gesagt, getan, schon schwirrt sie mit einem pfeifenden Ton aus der Höhle hinaus in den grauen Himmel. Die Pfauenfeder auf ihrer Haarpracht flattert ordentlich im Wind und auch der Fuchsschwanz bewegt sich auf ihrer Brust. Die Jung Hexen tun es ihr gleich, nur Rena bleibt zurück.

 

Am Ende der ersten Runde senkt Endora die Flughöhe ab und kreist über den wartenden Hexenmüttern. „Juchheißa!“, brüllt sie und winkt ihnen zu. Die Mütter strahlen erfreut und winken zurück.

 

Nun dreht Endora ab und fliegt zu dem großen Einkaufszen-trum am Rande der Stadt. Ein Friedhof, der in der Nähe ist, dient ihr als Landeplatz. Auch hierher folgen ihr die Schülerinnen gehorsam.    „Wir fliegen jetzt eine Runde über das Shopping-Center und werden Nachschau halten, wo es die schönsten Kleider gibt. Fliegt aber nicht zu tief aus der Nebeldecke, sonst kann man euch erkennen!“, befiehlt sie. Das Gekicher beginnt wieder und die Jung Hexen flattern aufgeregt von einer Boutique zur nächsten, um in den Auslagen etwas zu erspähen, das ihnen gefallen könnte. Mittlerweile zählt Endora ihre Schützlinge und stellt fest, dass Rena fehlt.     

  „Verdammt, ich hatte gleich so ein komisches Kribbeln in der großen Zehe! Ich hätte auf Cassiopeio hören sollen, auf ihn kann ich mich doch immer verlassen!“, schimpft sie mit sich selbst.

   „Fliegt nach dieser Runde wieder zurück zum Friedhof und wartet dort auf mich!“, befiehlt sie und macht eine elegante Wende zurück zur Tropfsteinhöhle. Weil sie einen hohen Gang auf ihren alten Besen eingelegt hat, muss sich Cassiopeio entscheiden, ob er sich an ihrer Schulter festhalten will oder selbst einen Flug startet.

 

Die Höhle ist leer.

   „Rena? Bist du da irgendwo versteckt? Komm doch zu mir, mein Püppchen!“, versucht sie in zuckersüßem Ton die „Vielleicht-Nicht-Jung-Hexe“ aus ihrem Versteck zu locken. Nichts! Jetzt ist Endora sauer und murmelt einen Zauberspruch. Sofort stinkt es in der Höhle nach Schwefel, doch von Rena fehlt jede Spur.

  „Verdammt, bei diesem Gestank muss sie doch herauskommen aus ihrem Versteck!“, tobt Endora.

 

Aber es tut sich nichts und so muss sie wieder zum Friedhof zurückfliegen und die restlichen Schülerinnen abholen.

   „Miradola ist abgestürzt!“, schreien drei Hexen gleichzeitig.

„Das darf doch nicht wahr sein! Kann man euch denn keine fünf Minuten allein lassen?“ Schweigen! Nach geraumer Zeit meldet sich Agete.

   „Sie hat sich in der Stromleitung im Shopping-Center verfangen!“ Endora überlegt.

  „Habt ihr gesehen, dass sie zu Boden gegangen ist?“ Wieder Schweigen!

   „Es ist zum aus der Haut fahren, bleibt also noch weiter hier am Friedhof, ich versuche sie zu finden!“

 

In der Zwischenzeit hat Miradola ihren Besen zur Seite gestellt und schlendert munter und vergnügt von einem Bekleidungshaus zum nächsten. Gerade als sie sich ihre Nase an der Auslage eines Juweliergeschäftes plattdrückt, kann Endora sie einfangen. Sie packt sie an den Schultern und schüttelt sie kräftig.

   „Bist du von allen bösen Geistern verlassen? Du kannst doch nicht hier spazieren gehen. Sieh dich an, wie du aussiehst, zerschlissene Kleidung, löchrige Strümpfe und zerzaustes Haar. Du musst doch erkennen, dass die Besucher hier alle ganz anders aussehen als du!“ Miradola blickt sich um, kann aber kaum Absonderlichkeiten bei den jungen Leuten finden, die durch die Shopping-Mall schlendern, denn gerade erblickt sie ein Mädchen mit komplett zerrissenen Jeans.

   „Ich dachte, wir sollten uns schöne Kleider aussuchen!“, motzt sie zurück.

  „Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich mit jeder einzelnen Kollegin von dir einen Ausflug hierher machen! Wenn wir genau wissen, was wir wollen, werden wir im Internet bestellen!“ Miradola ist verärgert.

   „Mach kein dummes Gesicht, wir haben noch einiges zu tun. Erst müssen die Kolleginnen vom Friedhof geholt werden und dann muss ich nach Rena suchen, die ist mir doch tatsächlich abhanden-gekommen!“

 

Endora sammelt die Schülerinnen am alten Friedhof ein und kehrt mit ihnen zurück zur Tropfsteinhöhle.

  „Wir sollten den Unterricht für heute beenden!“, verkündet sie griesgrämig.

   „Fliegt zu euren Müttern und lasst euch von ihnen erzählen, was sie früher in der Walpurgisnacht alles getrieben haben. Morgen reden wir weiter!“ Wie die gackernden Hühner fliegen die Jung Hexen aus der Höhle hin zum Pflaumengarten.

 

Endora setzt sich derweil auf einen der größeren Steine und ruft ihren Raben, der auch sofort im Tiefflug angeflattert kommt.     

  „Cassiopeio, kannst du mir sagen, was an dieser Rena nicht stimmt?“, fragt sie und starrt den Vogel an.

    „Richtig, du kannst ja nicht mehr sprechen, du bist und bleibst ein schwarzer Rabe. Aber vielleicht kannst du mir den Weg deuten, in welche Richtung Rena verschwunden sein könnte!“ Der Rabe drehte sich mehrmals im Kreis und zeigte in die Richtung der Stadt.

   „Du musst dich geirrt haben! Fahre dein Auge noch einmal in alle Richtungen aus und suche ordentlich!“, befiehlt sie dem Vogel, der müde kräht. Er versucht sein bestes, doch er kann keine Rena finden. Frustriert verlässt Endora die Höhle und fliegt in den nahen Wald zur Behausung von Gwendolin. Drei alte Wellblechplatten bilden das Haupthaus, darin befindet sich in der Mitte der Hütte eine offene Feuerstelle. Ein alter verrußter Kessel hängt über dem Feuer und Gwendolin murmelt gerade einen ihrer Zaubersprüche. Sie will nicht gestört werden und deutet Endora, vor der Hütte zu warten. Mittlerweile ist auch Cassiopeio gelandet und lässt sich auf Endoras Schulter nieder. Nach einer Weile kommt Gwendolin aus der Hütte.   

   „Wie war der heutige Unterricht? Was kannst du berichten?“, fragt sie mürrisch.

   „Na ja“, beginnt Endora.

„Du brauchst mir nichts zu erzählen, ich habe schon gesehen, dass eine deiner Schülerinnen in der Shopping-Mall einen Absturz fabriziert hat. Wie konnte das denn passieren?“ Endora schluckt.   

   „Ich denke, wir haben eine Spionin in unserer Mitte. Sie heißt Rena und soll die Tochter von einer gewissen Eleda sein! Sagen dir die beiden Namen etwas?“ Gwendolin wird blass, und das mag was heißen, denn sie hat einen sehr dunklen Teint.

   „Ach herrje!“, stottert sie.

„Ich muss ins Haus und einen Schluck vom Vitriol Schnaps nehmen!“, und schon ist sie dahin. Verwundert wartet Endora auf die Rückkehr ihrer Vorgesetzten.

 

Jetzt steht Endora schon mehrere Minuten vor der Hütte und weil sich nichts tut, beschließt sie hineinzugehen. Gwendolin sitzt vor ihrer großen Glaskugel und beschwört sie ständig, die Kugel aber zeigt kein Bild.

   „Ich bekomme keine Verbindung!“, stöhnt sie.

„Was soll dir die Kugel denn zeigen?“, erkundigt sich Endora neugierig.

  „Ich will wissen, wo sich Mephisto herumtreibt und wer gerade seine Gespielin ist!“ Leider versteht Endora kein Wort und wartet daher still und geduldig, bis sie von Gwendolin aufgeklärt wird.

   „Die vermeintliche Mutter von Rena, die du mir als Eleda genannt hast, heißt in Wirklichkeit Adele. Du brauchst die Buchstaben nur von hinten zu lesen! Und Adele ist die Gespielin unseres Herrn. Die musst du doch kennen von der letzten Walpurgisnacht und den Jahren davor. Sie und der Fürst der Unterwelt sind seit vielen Jahren liiert und ich denke, dass Rena sogar einst dieser Verbindung entsprungen ist.“ Endora kann es nicht fassen, dennoch weiß sie nicht, was Rena dann bei ihrem Unterricht will. Hat sie mit den anderen Schülerinnen gesprochen? Sie saß abseits der Klasse auf dem Boden und stand erst dann auf, als Endora jede einzelne Jung Hexe näher betrachtete.

   „Ich habe ihnen von der Muttermal-Probe erzählt und beobachtet, dass Rena sofort unauffällig die Ärmel ihres Kleides nach unten gerollt hat, sodass man die Haut nicht mehr sehen konnte. Aber wenn der Fürst der Finsternis ihr Vater wäre, hätte sie doch das Blut von Mephisto in ihren Adern und aus ihren Muttermalen käme kein Tropfen! Sie wäre doch dann sicher eine Hexe! Ich muss zugeben, ich bin verwirrt!“ Gwendolin nickt stumm. Nach einer kurzen Pause meint sie:

   „Du musst unbedingt herausfinden, was es mit dieser Rena auf sich hat. Vielleicht kannst du sie während des morgigen Unterrichtes etwas in die Enge treiben!“

 

Am nächsten Morgen kommen die Jung Hexen angeflogen und kichern und gackern bereits wieder wild durcheinander, bis Endora ihre Stimme erhebt und um Ruhe ersucht. Cassiopeio flattert aufgeregt durch die alte Tropfsteinhöhle und will Endora sicherlich etwas damit andeuten, doch sie ist gerade dabei, die Schülerinnen durchzuzählen. Und wieder fehlt eine.

   „Hat jemand von euch Rena gesehen?“, fragt sie die Jung Hexen. Vorerst keine Antwort, dann meldet sich eine strubbelige kleine Hexe zu Wort.

  „Sie sitzt mit einer Frau und einem Mann im Pflaumengarten!“ Endora seufzt.

  „Gut, beginnt einmal eure Besen zu putzen, ich fliege hin und werde sie holen!“, bestimmt sie und zischt ab, gefolgt von ihrem schwarzen Raben. Als sie sich dem Pflaumengarten nähert, muss sie auf einem dürren Ast zwischenlanden. Hätte sie Blut in ihrem Körper, wäre es gefroren. Rena sitzt zwischen einer wunderschönen Frau und einem Mann mit schlohweißem Haar. Die Frau ist in einem blauen, knöchellangen Seidenkleid gehüllt. Auf ihren Schultern ruht ein weißer Hermelinpelz vom feinsten. Ihr langes, blondes Haar fällt in welligen Strähnen über den Pelz. Endora ist von der Schönheit diese Frau überwältigt. Jetzt erinnert sie sich, sie schon früher einmal gesehen zu haben. Der Mann, neben dem Rena sitzt, ist ebenfalls gut gekleidet. Er trägt einen schwarzen Smoking. Fast sieht es aus, als ob die beiden Menschen gerade von einer elitären Tanzveranstaltung gekommen wären. Bei genauerer Betrachtung entdeckt Endora, dass der Mann nur einen schwarzen Lackschuh trägt, denn das zweite Bein weist einen Pferdefuß auf.

 „Oh, du mein heiliger Limettenbaum!“, stöhnt sie und hält vorsichtshalber Cassiopeios Schnabel zu. Wenn er jetzt kräht, ist sie verraten und entdeckt. Leider kann sie das, was die drei Personen sprechen, nicht hören und auch Lippenlesen geht nicht, weil sie ihre Münder nicht sieht.

  „Mein Herr und Gebieter, ich bitte dich, lass unsere Tochter aus dem Spiel um die Walpurgisnacht. Du weißt, dass sie durch meine Willenskraft und meinen Glauben, keine Hexe geworden ist. Sie führt ein normales Menschenleben und hat sich bei CNN verpflichtet, einen Bericht über das Leben und Werken der Hexen zu verfassen. Sie will damit auch dem amerikanischen Volk die alte Tradition vermitteln!“

 

Endora sieht, wie Mephisto nickt. Allerdings verwandeln sich seine Augen kurz zu glühenden Kohlen. Hexenschauer überzieht ihren Leib und Cassiopeio verliert ein paar schwarze Federn, die sanft auf den Boden des Pflaumengartens segeln. Mephisto muss gefühlt haben, dass sie wenige Meter entfernt in einem alten Baum hockt. Sofort bringt Endora ihren Besen wieder in Flugposition und deutet dem Vogel, auf ihrer Schulter Platz zu nehmen. Sie steuert direkt zu Gwendolin, wo sie kurz darauf völlig erschöpft ankommt. Sofort berichtet sie das eben Gesehene. Sie kann aber nichts über das Gespräch berichten, weil sie es ja nicht verstanden hat.

   „Hm!“, meint Gwendolin und ist ebenfalls überfordert.

„Gut, flieg zurück zur Tropfsteinhöhle und setze den Unterricht fort. Wie ich schon sagte, du wirst Rena besonders beobachten müssen!“

 

  „Habt ihr eure Besen ordentlich geputzt?“, fragt Endora beim Einflug in die Höhle. Sofort sind Gelächter und Geschwätz erloschen und alle sehen ehrfürchtig auf die Meisterin.

   „Eigentlich verstehen wir nicht, warum wir nicht die Staubsauger unserer Mütter verwenden dürfen. Wer fliegt denn heute noch mit so lahmen Dingern aus Reisig?“, erklärt Zelda.

   „Ich habe wohl nicht richtig gehört! Glaubst du, dass es den Fürsten erfreuen würde, wenn ihr an diesem hohen Festtag motorisiert erscheint? Immerhin reden wir von der Walpurgisnacht!“ Endora schäumt, wie wenn sie gerade ein Waschmittel getrunken hätte.

 

„Jetzt aber zum Unterricht! Heute wollen wir kurz einige der dreizehn Regeln der Hexenkunst besprechen“, beginnt sie. Miradola meldet sich zu Wort und teilt ehrfürchtig mit, dass Rena fehlt.

   „Sie kommt später“, beschwichtigt die Lehrerin.

„Also kennt eine von euch die eine oder andere Regel?“ Sie blickt fragend in die Runde. Just in dem Moment betritt Rena die Höhle.   

  „Ich soll auf meine Gesundheit achten, meditieren, immer wieder Neues lernen, mein Wissen weise anwenden und die Kraft der Natur ehren!“, sprudelt sie heraus. Cassiopeio fliegt aufgeregt zur Höhlendecke, streift an einem mächtigen Stalaktit und saust ungebremst zu Boden. Offensichtlich ist er von dem, was Rena gerade gesagt hat, mehr als begeistert. Endora rollt mit den Augen und nimmt kurz ihre Brille ab.

   „Das war wirklich gut!“, lobt sie Rena mit zitternder Stimme. So viele Regeln hat noch nie eine Jung Hexe in einer Anfängerklasse gewusst. Natürlich ist Endora im Zwiespalt, denn sie ist immer noch nicht sicher, ob Rena eine Hexe ist oder nicht.

  „Nehmt euch ein Beispiel an Rena!“, verweist sie dennoch die übrigen Schülerinnen.

  „Ihr müsst die Regeln der Hexenkunst beherrschen und auch immer wissen, wofür ihr diese Kunst verwendet, ohne jemandem zu schaden. Und ihr müsst immer ehrlich zu euch selbst sein!“, fährt sie fort.

    „Ihr könnt die Regeln auch alle im Internet nachlesen.“

„Wir Hexen sind sehr naturverbunden, daher bete ich immer zum heiligen Limettenbaum! Es bleibt euch überlassen, welche Glaubensrichtung ihr einmal einschlagen wollt, gestern habe ich ja schon auf die Wicca-Traditionen hingewiesen!“, wiederholt Endora.

 

   „Nun aber zurück zu dem, was wir in den kommenden Tagen vorhaben! Es geht um die Walpurgisnacht. In dieser soll der Winter traditionsgemäß ausgetrieben werden. Die Menschen tanzen um Feuerstellen, weil sie glauben, dass die Flammen eine reinigende Wirkung haben und von Krankheiten abhalten sollen. Wir Hexen nützen diese Nacht aber, indem wir zum Brocken fliegen, wo Mephisto, der Fürst der Unterwelt, uns empfangen wird. Dort lassen wir es dann so richtig krachen und werden ausgelassen mit dem Teufel schäkern. Beinahe nach jeder Walpurgisnacht ist eine Hexe bei ihm geblieben und Jahre später als Lehrerin oder Ober Hexe zurückgekehrt und hat einen neuen Hexenclan gebildet!“ Miradola bestätigt altklug:

   „Alles klar, daher sollen wir uns besonders herausputzen!“ Endora nickt zustimmend.

     „Waren Gwendolin und du auch eine Zeitlang bei Mephisto?“, will eine andere Jung Hexe wissen.

  „Äh, ja natürlich. Ich wurde zur Lehrkraft ausgebildet und Gwendolin hat als Ober Hexe unseren Clan gegründet!“, erklärt sie und die Jung Hexen erkennen, dass es ihr nicht leichtfällt, darüber zu sprechen, denn anscheinend wollte auch sie einst eine Ober Hexe werden.

 

„Die Kirchenväter waren nicht immer gut auf uns zu sprechen und haben uns oft verfolgt. Sie wollten uns vertreiben und vernichten, obwohl wir nichts Böses getan haben. Wenn wir versucht haben, mit Kräutern und Tinkturen - und da spreche ich nicht von Zaubertränken - den Menschen zu helfen, waren sie uns sofort auf den Fersen. Wenn man nicht aufgepasst hat, saß man schon am Scheiterhaufen, und ich kann euch sagen, dass das gar nicht lustig ist! Daher hat Mephisto beschlossen, dass es viel mehr Unterrichtspersonal geben muss, und so wurde ich zur Lehrerin ausgebildet!“, erzählt Endora mit Trauer in ihrer Stimme.

   „Wir machen wieder einen Rundflug und danach ist der Unterricht für heute beendet. Morgen am Vormittag werden wir einteilen, wann ich mich mit wem um neue Kleider kümmere. Bestellen werden wir sie wie immer im Darknet!“

 

Sofort meldet sich Rena und teilt mit, dass ihre Mutter um eine dementsprechende Ausstattung schauen wird und sie daher Endoras Dienste nicht benötigt.

  „Hoffentlich weiß deine Mutter, was sie besorgen soll!“, giftet sie Rena an, wohl wissend, dass die Kleidung der Frau, von der sie vermutet, dass es Renas Mutter ist, im Pflaumenpark, wunderschön war.

   „Abflug! Meine Lieben! Es geht wieder los und wir werden heute einmal zum Fluss fliegen!“, befiehlt Endora und schnappt sich ihren Besen. Cassiopeio aber bleibt zurück. Endora hat schon wieder vergessen, dass sie eigentlich als letzte Hexe die Höhle verlassen sollte, um zu sehen, wie es mit Renas Besen und ihren Flugkünsten aussieht. Jetzt ist es ohnehin zu spät. Sie führt die Gruppe der Jung Hexen an und schlägt die Richtung zum Fluss ein.

 

Rena wartet, bis alle Schülerinnen weg sind und spaziert dann seelenruhig aus der Höhle. Zu Fuß erreicht sie in wenigen Minuten den Pflaumengarten und sucht nach ihrer Mutter. Die kommt von einem anderen Eingang und bringt eine warme Jacke für die Tochter, denn die kalten Tage können zwar Hexen nichts anhaben, aber ihrer Tochter sehr wohl. Der Rabe hat sich mittlerweile dienstbeflissen im Geäst eines der laublosen Pflaumenbäume zu verstecken versucht.

 

„Ich muss meine heutigen Eindrücke gleich in mein Aufnahmegerät sprechen, damit ich nichts vergesse!“, erklärt sie der Mutter.

   „Wie geht es dir denn so mit den Jung Hexen? Ahnen sie, dass du eine Journalistin bist?“, will die Mutter wissen.

  „Ich glaube, Endora ist etwas verunsichert, aber die übrigen Schülerinnen haben keine Ahnung. Ich befürchte nur, dass es ein Problem geben wird, auf den Brocken zu kommen, nachdem ich zwar einen Besen mit mir herumschleppe, aber nicht damit fliegen kann. Die Geschichte mit dem Kleiderkauf konnte ich abwenden, weil ich gesagt habe, dass du mit mir einkaufen gehen wirst!“ Die Mutter nickt und lächelt.

 

„Wir werden ein zauberhaftes Kleid aus meiner Garderobe nehmen. Ich denke, wir haben alles, was wir brauchen zu Hause. Du wirst wunderschön sein!“, beschwichtigt Eleda alias Adele ihre Tochter.   

   „Geh zurück in die Höhle, damit niemand Verdacht schöpft und erkläre, dass du dich nicht wohlfühlst und Kopfschmerzen dich plagen. Mit solchen Schmerzen kann man sich auf keine Besenreise konzentrieren!“ Die beiden Frauen trennen sich und Rena kehrt zurück in die alte Höhle. In geringem Abstand versucht Cassiopeio zu folgen.

   „Zu blöd, dass dich Mephisto einst verzaubert und dir die Sprache genommen hat. Das war die Strafe, weil du immer so geschwätzig gewesen bist!“, ruft Eleda alias Adele dem Vogel nach. Der wendet sogleich und kommt wieder zurück. Auf Eledas ausgestrecktem Arm lässt er sich nieder. Aus dem Auge rollt eine grüne Flüssigkeit. Cassiopeio sieht ziemlich zerzaust aus.

   „Wenn du versprichst, nie im Leben darüber zu berichten, was du gerade gesehen hast, lege ich für dich ein gutes Wort beim Fürsten der Finsternis ein!“, schlägt sie dem Vogel vor. Der Rabe wackelt mit den Fledermausohren und nickt.

   „Gut, aber das wird erst nach der heurigen Walpurgisnacht möglich sein!“, erklärt sie ihm. Damit kann Cassiopeio leben, denn die paar Tage wird er auch noch stumm über die Runden bringen.

 

Lange muss Rena nicht auf die anderen Schülerinnen und Endora warten. Sie landen leicht ramponiert, weil mittlerweile ein ordentlich starker Sturm aufgekommen ist.

    „Warum bist du nicht mit uns gekommen?“, fährt Endora nun Rena scharf an. Diese jammert ihr die fürchterlichen Kopfschmerzen vor.   

   „Es ist sicher der Wind, den ich nicht gut vertrage!“, entschuldigt sie sich.

   „Papperlapapp, wir sind doch alle unterwegs gewesen und hat eine von euch Beschwerden?“, fragt Endora die Gruppe.

    „Meine Augen brennen und der Kopf dröhnt!“, meldet sich Zelda.

„Mir geht es ebenfalls schlecht, ich hatte Panik bei diesem Sturm und dachte ich stürze ab!“, erklärt Miradola mit einem leidvollen Ausdruck in ihrem dunkelhäutigen Gesicht.

   „Ihr seid alle verwöhnte Kids. Eure Mütter haben euch nicht richtig auf das Hexen Leben vorbereitet!“, schnaubt Endora böse.

   „Wenn das so ist, werdet ihr nach der Walpurgisnacht noch einige Einheiten hier nachsitzen müssen!“

 

Die Jung Hexen verziehen sich jede auf einen Stein und warten Endoras Wutanfall ab. Die sieht sich einstweilen nach ihrem Raben um. Irgendwie sieht er verändert aus. Bei genauerer Betrachtung fällt ihr auf, dass er ein paar Federn weniger hat. „War das der Sturm?“, fragt sie ihn und blickt ihm in sein Auge.

   „Ach ja, das war ja aufgrund der Begegnung mit den Menschen im Pflaumenpark! Ich erinnere mich wieder an diese unliebsame Situation.“ Er gibt einen müden Krächz von sich und Endora nickt.   

   „Du wirst dich schon wieder erholen! Vielleicht braue ich dir abends einen Zaubertrank, der das Federkleid rascher als gewöhnlich nachwachsen lässt, dann ist in ein paar Tagen wieder alles so wie es war!“ Der Vogel nickt und fliegt in den hinteren Teil der Höhle.

   „Miradola, möchtest du morgen den Anfang machen und mit mir ins Shopping-Center fliegen?“, erkundigt sie sich nun. Miradola ist einverstanden, die anderen Schülerinnen murren. Natürlich will jede zu Beginn drankommen.

   „Ich hole jede von euch von zu Hause ab und wir suchen nach kostbarer Kleidung! Richtet euch danach! Das wird drei Tage in Anspruch nehmen, danach werde ich die gesamte Bestellung an Gwendolin leiten, die die Sachen dann im Darknet bestellt! Einstweilen habt ihr „home-hexing“ und werdet die dreizehn Regeln auswendig lernen und die Wicca-Sätze durcharbeiten. Außerdem werdet ihr einen Zaubertrank zusammenstellen, den ihr im alten Hexenalmanach findet, und zwar auf Seite 112! Kommt nicht auf die Idee, im Internet danach zu googeln! Fragt eure Mütter, denn jede von ihnen hat einen solchen Almanach bei ihren Arbeitsunterlagen!“ Wieder hört man die Jung Hexen murren.

   „Natürlich werde ich euer Gebräu nächste Woche kontrollieren! Für heute ist der Unterricht beendet! Abflug!“ Weil sich Endora sofort um ihren Raben kümmert, fällt ihr nicht auf, dass Rena sich zu Fuß von der Höhle entfernt, nachdem alle ihre Kolleginnen abgeflogen sind.

 

Zu Hause angekommen, tippt sie alle Erkenntnisse in den PC und löscht danach wieder das Aufnahmegerät. Sie schickt die Unterlagen zu CNN mittels verschlüsselter Mail. Wenn CNN mit ihrer Arbeit zufrieden ist, wird sie eine Fixanstellung bekommen. Da würde sie mit ihrer Mutter nach Amerika übersiedeln und den ganzen Hexenhumbug hinter sich lassen.

 

Endora borgt sich von Gwendolin einen großen Steinadler. Er hat die beste Sehkraft und er wird später die Bilder für das Darknet scannen. Jetzt sind Hexenlehrerin und Adler mit jeder der sechs Schülerinnen unterwegs. Man bestaunt Auslagen von Kleidergeschäften und Boutiquen und Endora spricht ein Machtwort, sobald ein Kleidungsstück infrage kommt! Sofort nimmt der Adler dieses unter die Lupe, und speichert es mit seinen scharfen Augen ab.

Am Ende der Aktion bringt Endora den Adler zu Gwendolin zurück. Sie wird sich mit dem Vogel auseinandersetzen, der die Kleiderskizzen wiedergibt und die gesamte Kleidung im Darknet bestellen. Sie gibt als Lieferadresse die Wiese hinter ihrer bescheidenen Hütte an und verspricht, mit einem roten Farbpunkt eine Markierung zu machen, damit eine Drohne – die neueste Konkurrenz der Hexen – das Paket dort abwerfen kann.

 

Drei Tage später treffen die Jung Hexen wieder in der Tropfsteinhöhle ein. Jede hat einen gläsernen Behälter dabei, in welchem sich ihre Hausaufgabe befindet. Endora kontrolliert von jeder Hexe das Ergebnis mit einem Hühnerbein. Schlägt es aus, dann ist der Zaubertrank nicht richtig gemixt. Bleibt es ruhig und wird dunkelblau, ist die Aufgabe richtig gelöst worden. Da das eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, beginnen die Jung Hexen sich zu unterhalten. Plötzlich entdecken sie Cassiopeio der völlig federlos hin und her schwirrt.

   „Was ist bloß mit deinem Raben passiert?“, entfährt es Miradola entsetzt. Weil Endora die Frage geflissentlich überhören will, testet sie die Hausaufgaben der Schülerinnen ruhig weiter.

   „Endora, dein Rabe ist nackt!“, schreit jetzt Agete, die Hexe mit dem rosa Haar, hysterisch auf.

   „Beruhigt euch gefälligst wieder. Auch eine Hexe darf sich mal irren. Ich habe den falschen Zaubertrank gemixt. Heute Nacht muss ich es nochmals versuchen, damit Cassiopeio wieder sein schwarzes Federkleid bekommt! Und jetzt beruhigt euch, denn ich bin bereits mit der letzten Prüfung fertig!“ Sie kehrt wieder in die Mitte der Tropfsteinhöhle und räuspert sich.

   „Ich bin höchst erfreut, dass euch allen der Zaubertrank gelungen ist. Ich hoffe nur, ihr habt ihn auch wirklich allein gemacht und nicht eure Mütter um Hilfe gebeten!“ Stille im Raum.

   „Ihr schüttet nun alle den Inhalt eurer Gefäße aus. Im Nu wird die Höhle blitzblank sein und kein Mensch wird erfahren, dass hier junge Hexen ihr Unwesen getrieben haben!“, befiehlt sie streng.

 

  „Jetzt wird es Zeit, dass wir uns über den Flug zum Brocken unterhalten! Wie ihr wisst, ist der Dachstein ziemlich weit entfernt. Wenn wir mit dem Besen fliegen wollten, sollten wir schon seit vorgestern unterwegs sein. Daher hat Gwendolin drei Heißluftballons gechartert. In einem fahren eure Mütter, im zweiten wir und im dritten wird Gwendolin mit allen Besen und den Kleidungsstücken unterwegs sein. Kurz vor der Walpurgisnacht werden wir am Fuße des Brockens landen, uns umziehen und unsere Besen ausfassen! Habt Ihr dazu noch Fragen?“ Zelda will wissen, was im Falle einer Verspätung passieren würde.

   „Die wird es nicht geben, denn wir haben es die letzten Jahre immer so gemacht und es hat funktioniert!“, beschwichtigt Endora.      „Was geschieht, wenn die Kleider nicht rechtzeitig geliefert werden?“, erkundigt sich Miradola.

   „Passiert nicht, denn sie sind bestellt und Gwendolin hat für heute gegen 16 Uhr eine Lieferzusage! Fliegt jetzt nach Hause und kommt am frühen Abend wieder hierher!“

 

Wie geplant wirft eine Drohne gegen 16 Uhr ein riesiges Paket hinter Gwendolins Hütte ab. Mithilfe von Endora teilen sie die Kleider, Schuhe und Schmuck so auf, dass für jede Jung Hexe ein Jutesack gefüllt wird. Endora versieht jeden Sack mit den sechs Namen ihrer Schüler-innen. Rena bekommt ihr Gewand von ihrer Mutter. Danach fliegt Endora wieder zur Tropfsteinhöhle, wo die Jung Hexen schon aufgeregt warten.

   „Also, die Sachen sind alle vollständig gekommen, wir fliegen jetzt gemeinsam zu Gwendolin und jede von euch ergreift ihren Sack und fliegt damit nach Hause. Morgen früh treffen wir einander wieder hier, mit dem Kleidersack natürlich! Auch eure Mütter sollen kommen, und zwar gleich in den Pflaumengarten, wo unsere Luftschiffe auf uns warten. Das gilt auch für dich, liebe Rena!“ Diese nickt nur stumm.

   „Für heute seid ihr entlassen, vergesst nicht, noch einmal gründlich eure Besen zu putzen und seid pünktlich!“

 

Am nächsten Morgen stehen im Pflaumengarten tatsächlich drei wunderschöne Heißluftballons bereit. Mehrere Hexen und die Mütter der Schülerinnen warten schon. Endora dirigiert die Jung Hexen, die seit ein paar Minuten in der Höhle versammelt sind, hinaus. Mit strengem Blick kontrolliert sie, ob jede Schülerin ihren Besen und den Kleidersack bei sich hat.

   „Und nicht vergessen, wir gehen ausnahmsweise alle zu Fuß zum Pflaumengarten, damit wir unseren Besen nicht beschmutzen!“, gibt sie das Kommando. Rena ist überglücklich über diese Entscheidung und mischt sich unter die anderen Hexen.

 

Beim ersten Ballon pflanzt Endora sich auf.

   „Hier, meine Schülerinnen, werdet ihr einsteigen, aber zuerst bringt ihr Besen und Kleidersack zum letzten Ballon!“ Die Hexen gehorchen und laden ihre Sachen ordnungsgemäß ab. Im Korb steht Gwendolin und nimmt jeder erst Besen dann Jutesack ab. Danach marschieren alle zum ersten Ballon zurück. Kurz winken einige noch ihren Müttern. Jetzt klettern sie über eine kleine Strickleiter in den Korb. Alle anderen Hexen besteigen den mittleren Korb. Endora ruft noch rasch nach Cassiopeio, der immer noch nicht viel mehr Federn hat. Er muss auch mitfahren. Aber er sträubt sich und lehnt ab, in den Ballon zu steigen.

 

Im Korb der erwachsenen Hexen bewundern alle Eleda alias Adele, weil sie ein sehr schönes, hellblaues Kleid trägt. Sie lächelt freundlich, bemüht sich aber, nicht zu viel mit den anderen Hexen zu sprechen. Sie wissen nicht, dass sie keine Hexe ist und Adele wünscht, dass dies auch so bleiben mag.

 

Hoch oben über den Wolken ziehen die Ballons dahin, mit Richtung zum Brocken. Es ist der letzte Tag vor der Walpurgisnacht. Während die erwachsenen Hexen den Brauch schon kennen und auch die Fahrt nichts Neues für sie ist, gackern die Jung Hexen wie wild durcheinander und sind begeistert, wie der Ballon sich langsam durch die Luft bewegt. In ihrem Korb ist Endora die Steuerfrau. Im Transportkorb kümmert sich Gwendolin darum und im mittleren Korb hat Venaris, eine etwas ältere Hexe, das Kommando übernommen.

 

Nach geraumer Zeit zieht der Brocken vor ihnen auf und Endora deutet nach unten. Jetzt wird Ballast abgeworfen und langsam senkt sich der erste Ballon. Ballon zwei und drei folgen. Knapp über dem Boden am Fuße des Berges flattert ein dreiäugiger Habicht und deutet ihnen den Landeplatz an. Endlich haben alle wieder Boden unter den Füßen. Es ist eben ein Unterschied, ob man auf seinem Besen dahinbraust, oder gefahren wird. Dem Beginn der Walpurgisnacht steht nichts mehr im Wege.

 

„Ihr holt jetzt eure Besen und Jutesäcke und folgt mir zum Hexentanzplatz!“, ruft Endora.     „Es handelt sich um eine Felsenklippe, von der aus wir später dann zum Brocken aufbrechen“, erklärt sie und eilt mit den Jung Hexen zum Transportballon. Kurz überblickt sie die Runde der Schülerinnen und schwingt sich elegant auf ihren Besen.

   „Los! Mir nach!“, ertönt ihre Stimme und schon hebt sie vom Boden ab. Auch sie hat einen alten Kartoffelsack dabei, in welchem sich ein besseres Kleidungsstück befindet. Endora weiß aber, dass sie von Mephisto nicht beachtet werden wird. Während die Jung Hexen in ihre neuen Kleider schlüpfen, sieht Endora in der Ferne Cassiopeio, der es abgelehnt hat, mit dem Ballon zu fahren. Etwas ausgepumpt landet er fröstelnd auf ihrer Schulter.

 

Rena hat sich hinter dem Transportkorb versteckt und wartet auf ihre Mutter. Alle Hexen inklusive Gwendolin sind in Richtung Hexentanzplatz unterwegs. Dort ist der Platz eng, weil schon unzählige Hexen aus anderen Clans sich versammelt haben. Die meisten von ihnen tragen bereits wunderschöne Kleider und edle Schuhe. Es gibt auch eine Ecke, in der man sich schminken lassen kann, um noch besser auszusehen. Eleda alias Adele hilft ihrer Tochter in ein Kleid aus rotem Samt und weißer Seide. Die Sandalen sind aus Goldschnüren geflochten. Rena braucht kein Make-up, sie steht ihrer Mutter um nichts an Schönheit nach.

    „Und wie kommen wir jetzt zu diesem Hexentanzplatz?“, will Rena wissen.

  „Mephisto hat uns einen Ziegenbock geschickt, der uns dorthin bringen wird. Hier wirst du nämlich nicht nur Besen fliegen sehen, sondern auch Mistgabeln, Schweine und Kälber, seltener Böcke oder Pferde!“

 

Nun sind auch Adele und Rena auf dem Hexentanzplatz gelandet. Der Ziegenbock ist in dem Gewusel von Hexen unbemerkt verschwunden.

 

Einstweilen ist es Nacht geworden. Vom Gipfel des Brockens sieht man die Flammen lodern. Das Fest kann beginnen. Musik dröhnt vom Berg. Endora gibt das Zeichen zum Flug auf den Berg und die Jung Hexen folgen. Sie ist verärgert über die Sondertouren von Rena. Auf dem Berg angekommen, sehen die Jung Hexen erstaunt dem bunten Treiben zu. Esel, Gänse und Hasen sind die Musikanten. Sogar Pferde trommeln auf Fässern aus Holz. Nach und nach kommen auch die anderen Hexen angeflogen und umkreisen das Feuer. Es ist ein gespenstisches Ritual, denn in der Mitte des Feuers tut sich plötzlich eine Stelle auf, aus der Mephisto erscheint. Auch er trägt ein mit Gold und Edelsteinen besticktes Gewand, der schwarze Umhang flattert im Wind. Er hebt die Hände und plötzlich sind die Musikanten still.

  „Es freut mich, dass ihr wieder alle gekommen seid! Lasst uns fröhlich und ausgelassen diese Nacht der Nächte miteinander verbringen. Kommt her und küsst meinen Pferdefuß als Zeichen eurer Unterwerfung und Treue. Und bitte wundert euch nicht, ich nehme auch heuer wieder keine Hexe zur Frau, so wie ich es vor Jahren getan habe. Seit ich mich damals für Eleda entschieden habe, bleibt sie an meiner Seite!“, posaunt er mit dunkler Stimme in die Nacht. Während das den Jung Hexen einerlei ist, murren einige der alten und erwachsenen Hexen. Ihnen gefällt das nicht. Aber sie haben his masters voice gehört und können nichts dagegen tun. Die Musikanten heben wieder an und spielen einen Tusch nach der Ansprache des Fürsten, ihres Herrn.

Auf einem braunen Zentauren reitet Eleda in Richtung des Fürsten. Er hilft ihr beim Abstieg und fährt ihr zärtlich mit seiner rauen, behaarten Hand über die linke Wange. An seiner Seite stehend, verfolgt sie nun, wie die Hexen grölen und antanzen, um Mephistos Pferdefuß zu küssen. Die Musiker untermalen den Vorgang einstweilen mit wilden Klängen. Am Ende der Hexenschar sind die Junghexen aus Endoras Klasse an der Reihe.

   „Der hat vielleicht Nerven!“, knurrt Miradola.

„Kann der sich nicht selbst die Füße waschen? Das ist grauslich!“ Sofort ist Endora an ihrer Seite und sieht sie böse an.

   „Bist du von allen Vorfahren und bösen Geistern verlassen? Wenn der Fürst das verlangt, hast du es zu tun! Los! Mach dich fertig, du bist gleich an der Reihe!“ Während Miradola ihren Besen startet und dem Fürsten entgegenfliegt, hält Rena sich immer noch im Hintergrund. Auch sie ist mit einem Zentauren gekommen, der jetzt am Rande der Feuerstelle liegt und so Rena ein gutes Versteck bietet. Sie diktiert in Windeseile alles, was hier geschieht, in ihr Aufnahmegerät.

 

Miradola landet vor den Füßen des Fürsten und springt elegant von ihrem zerzausten Besen.

   „Ich höre, du bist aufmüpfig? Ist das die neue Generation? Weißt du nicht, dass man bedingungslos seinem Herrn zu folgen hat?“, wird sie von Mephisto gefragt, ehe sie sich seinem Pferdefuß nähert. 

   „Wir kaufen über Darknet, haben jede ein Tablet, sind gelehrig und folgsam, aber wir müssen uns der Zukunft stellen und da kann man sich doch seine Füße selbst reinigen und nicht von unzähligen Mäulern abschlecken lassen!“, erklärt Miradola mit ruhiger Stimme, während Endora bereits gegen eine grässliche Ohnmacht ankämpft.

   „Oh, du verweigerst den Gehorsam! Willst du mir noch etwas sagen, oder bist du fertig?“, donnert Mephisto so laut, dass alle anderen Hexen erzittern und erschaudern.

   „Ich bin für höherwertige Besen! Wenn es schon so ein Gestrüpp sein muss, dann kann man doch einen ordentlichen Kehrbesen verwenden, wie ihn die Menschen in der Küche haben. Der Stiel kann aus Metall sein, dann würde er nicht verwittern. Natürlich gibt es bereits komfortable Handstaubsauger mit Stiel, aber das wirst du sicher nicht dulden!“ Beinahe bleibt dem Fürsten der Finsternis die Spucke weg.

   „Du bist sehr mutig, ich muss nachdenken, ob ich dich bestrafen soll! Ich glaube aber, du eignest dich eher als neue Lehrerin für das nächste Hexenseminar, du bringst frischen Wind in die Jung Hexen. Wir werden darüber später sprechen!“ Der Fürst ist so hin und weg, dass ihm tatsächlich nicht auffällt, dass Miradola seinen Pferdefuß nicht geküsst hat und wieder in die Reihe der Kolleginnen zurückfliegt.

 

Das Fest geht wilder als zuvor weiter, die Tiere machen wieder Musik und es brodelt richtig im Hexenkessel. Die übrigen Hexen kreischen und schreien durcheinander, springen über die Feuerstellen und genießen die wilden Stunden in dieser Nacht. Für die Schülerinnen von Endora ist es ein erstes, großes Erlebnis. Heute können auch sie unbeschwert lachen und gackern so viel sie wollen, ohne zurechtgewiesen zu werden.

 

Mephisto tanzt mit Adele und sieht sie immer wieder verliebt an.   

   „Auch du hast neue Regeln eingeführt, indem du dich nicht mehr jährlich mit einer anderen Hexe vermählst, sondern mir treu bleibst!“, flüstert sie in sein pelziges Ohr.

    „Also überdenke die Vorschläge der jungen Miradola!“

Allmählich wird es dämmrig, der Morgen bricht an, das Feuer wird kleiner. Die Musikanten spielen nicht mehr. Die Tiere liegen müde am Boden, die Hexen haben ihre Energie verbraucht. Der Fürst der Unterwelt ruft seinen schwarzen, geflügelten Hengst, nimmt mit Adele darauf Platz und holt auch Rena zu sich. Rauch und Nebelschwaden ziehen über den Brocken, sodass keine Hexe den Abflug des Pferdes erkennen kann.

   „Ich bitte dich, Cassiopeio wieder seine Sprache zu geben! Er hat uns seinerzeit im Pflaumengarten belauscht und versprochen, nie wieder über diese Angelegenheit zu sprechen. Endora wird langsam alt und sie brauchen den Raben als Wegbegleiter“, ersucht Adele den Fürsten der Unterwelt.

   „Und noch eine Bitte habe ich. Wenn Miradola die neue Ausbilderin der Jung Hexen werden soll, gib ihr einige Freiheiten, so wie sie sie angesprochen hat. Ich bin sicher, dass sie nicht übertreiben wird. Sie ist eine gute Hexe, ich habe sie schon lange beobachtet. Sie ist neugierig, für Neues offen und dennoch wird sie die Traditionen bewahren!“ Mephisto nickt und widmet sich seiner schönen Tochter.      „Was habe ich für ein Glück, mit zwei so schönen Frauen verflucht zu sein!“, brummt er leise und setzt Eleda und Rena bei den Heißluftballons ab. Danach steigt der Hengst hoch in die Luft und der Fürst der Finsternis ist nicht mehr zu sehen.

 

Die Walpurgisnacht geht zu Ende. Die Nacht der Nächte ist vorbei. Und wie sie gekommen sind, kehren die einzelnen Clans wieder zurück in ihre Heimat. Für die Jung Hexen geht das lebenslange Lernen weiter. Nur Rena stellt ihren Besen ein für alle Mal in die Ecke, packt ihre Koffer und fliegt mit allen gespeicherten Unterlagen in einem Privatjet ihres Vaters, dem Teufel, nach Amerika. In Atlanta wird sie die Geschichte rund um den alten Hexenbrauch bei CNN veröffentlichen.

 

 

ENDE