JUGENDARBEITEN

Maria Alejandra & Carlos Eduardo

 

"Die Schule ist vorbei! Was nun? Gehen nun unsere Träume in Erfüllung, oder holt uns die Realität der Erwachsenen ein? Ein traumloses rackern im Existenzkampf dieser materiell ausgerichteten Welt? Wie auch immer, eines flüstern wir euch, einfach so kampflos werfen wir unsere Rosinen nicht über Bord!"

 

Hier lassen wir die Jugend zu Wort kommen, und zwar bedingungslos!

Jorina erblickte das Licht der Welt am 9. April 2002. Weltweit betrachtet, war das ein wohl eher ruhiger Tag. Vielleicht war das die Herausforderung für sie, später für sich ein bisschen Dampf zu machen und etwas Spektakel in ihr Leben zu bringen, wonach sie zunächst Handball, dann sogar Boxen als geeignete Sportarten für sich auswählte. Sie meint dazu lako-nisch, „immerhin konnte ich es bis heute so einrichten, dass ich noch kein blaues Auge oder eine krumme Nase davonge-tragen habe!“

 

Auch nicht vom singen, denn als Ausgleich spielt sie Gitarre und schreibt viele ihrer Lieder selber, die wohl um einiges besser ankommen, als diejenigen des Barden Troubadix! Ihr nächstes gestecktes Ziel ist eine Schauspielausbildung in Köln, die sie nach diesen Sommerferien angehen möchte. Dabei betont sie aber, dem Schreiben treu zu bleiben, weil ihr dies sehr viel Freude und Spaß bereitet. Wir sagen, gutes Gelingen, Jorina! 

Hier ist ihre Geschichte. Gute Unterhaltung.

 

 

AUGEN SEHEN ALLES

(Urheberrechte und Copyrights © by Jorina Brocks)

 

 

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, oberhalb der bewaldeten Anhöhe, beobachtet ein aufmerksames Augenpaar die Gescheh-nisse auf dem gegenüberliegenden Waldstück. Das Augenpaar folgt den Bewegungen der hübschen Blondine. Eigentlich hatte es nicht sie beobachten wollen, es war auf der Suche nach seiner Angebeteten gewesen, aber nun ist es wohl oder übel nicht die Richtige. Trotzdem ruht sein Blick auf ihr. Folgt ihren Bewegungen. Sieht, wie das Blut in ihren Adern pulsiert. Seine Augen wollen sich nicht von der Szenerie lösen. Es ist interessant, wie sie den armen jungen Mann vor sich zu Fall gebracht hatte. Sie hatte ihn ganz mühelos mit einem Stein auf den Kopf geschlagen. Der Grund scheint unerklärlich, wenn man vorher nicht gesehen hatte, wie er probiert hat sich an sie heranzumachen – sie anzufassen. Jetzt kniet sie neben ihm – bewegungslos. Bis sie aufspringt und losrennt. Na na na, böses Mädchen. Renn, renn so schnell du kannst. Das Augenpaar folgt ihr, bis sie nicht mehr zu sehen ist und es schwört sich, es würde sie finden. Sie, die so reizvoll, gar unwiderstehlich für ihn zu sein schien. Lasst die Jagd beginnen.

 

Ich sehe ihr gerne dabei zu. Eigentlich sehe ich ihr überhaupt bei allem gerne zu. Wie sie über die Witze ihrer Lieblingsserie lacht. Wie sie die Nase kräuselt, wenn sie nachdenkt oder wie sie sich jeden Abend zur selben Uhrzeit schlafen legt. Es hatte etwas Beruhigendes ihr zu folgen, ihren Tagesablauf mitzuerleben. Sie war blond und schlank und sie hatte diese Ausstrahlung, die alle dazu brachte sie zu mögen, man konnte nicht anders. Sie faszinierte mich auf eine Weise wie niemand vor ihr es je getan hatte. Sie war anders.

 

Es war bereits später Abend und ich wusste in ein paar Minuten würde sie sich ausziehen, kurz im Bad verschwinden und sich in ihrem dünnen Pyjama in ihr Bett legen. Und genau das tat sie. So machte sie es immer. Und wie jeden Abend machte ich mich gleichermaßen auf den Heimweg, um dort auf den Morgen zu warten, den Moment wo ich sie wiedersehen würde.

 

Ich lag in meinem Bett und versuchte krampfhaft zu schlafen, aber heute ging etwas Komisches in mir vor – etwas ungewöhnlich Intensives. Der Gedanke an sie, sie zu berühren, sie aus der Nähe zu beobachten … er hielt mich wach.

 

Wie es wohl wäre über die zarten Lachfältchen ihres Mundes zu streichen? Neben ihrer schlanken, eleganten Figur im Bett zu liegen? Der Mensch zu sein, dem sie ihre Geheimnisse anvertraute – dem sie vertraute?

 

Solche Gedanken hatte ich schon einmal gehabt, aber nicht so intensiv – nicht so zerreißend. Sie war wie ein gutes Buch, ich konnte nicht aufhören sie zu lesen, in ihr zu blättern. Ich wollte über ihre Seiten streichen, in ihren Worten versinken und zwischen ihren Zeilen lesen. Ich wollte nicht mehr nur ihr Leser sein … nein! Ich wollte der Autor sein, ihr Autor. Derjenige, der bestimmt, was passiert. Also schrieb ich.

 

Ich lief nur einen Meter hinter ihr zu dem Café, bei welchem sie sich jeden Wochentag vor der Arbeit ihren Karamell-Macchiato holte. Ich hatte einen Entschluss gefasst. Ich würde etwas tun, was ich vorher noch nie getan hatte. Ich musste ihr näher sein, sie spüren. Ich war mir sicher, es würde funktionieren. Wer auf dieser Welt kannte sie schon besser als ich?

 

„So wie jeden Morgen?“, fragte sie der Barista.

    „Ganz genau“, antwortete sie. Ich stand so nah hinter ihr, dass ich ihren süßen Duft vernehmen konnte. Er erfüllte mich und ehe ich mich versah, hatte sie sich umgedreht. Allerdings sah sie mich eine Millisekunde zu spät und stolperte direkt gegen meine Brust, sodass ihr gesamter Kaffee auf mir landete. Alles klar, das war nicht der Plan gewesen und normalerweise mochte ich es nicht, die Oberhand bei einem Vorhaben zu verlieren. Auf der anderen Seite, war diese Situation ebenso zielführend wie die, die ich mir vorher ausgemalt hatte.

 

„Oh, Entschuldigung! Geht es Ihnen gut?“, fragte sie mich, mit einem bestürzenden Gesichtsausdruck.

    „Ja, alles in Ordnung. Wirklich“, setzte ich nach.

„Es tut mir so leid, kann ich das irgendwie wiedergutmachen?“ Ich überlegte kurz.

„Ich würde sagen, wir bestellen Ihnen erstmal einen neuen Kaffee.“        „Das ist eine gute Idee. Was wollen sie? Ich lade sie ein“, bietet sie höflich an. Jackpot.

    „Ich nehme das gleiche wie Sie.“

„Alles klar. Zwei Karamell-Macchiatos“, sagte sie, wieder dem Barista zugewandt. Sie bezahlte und drückte mir einen der zwei Becher in die Hand.

    „Ich hoffe, Sie nehmen meine Kaffee-Entschuldigung an?“.

„Nur wenn ich Sie wiedersehen darf.“, ich weiß, nicht sehr subtil, aber ich musste einfach die Gewissheit haben, ihr wieder so nah sein zu können.

   „Alles klar, ich gebe meine Handynummer normalerweise keinem Fremden. Aber weil ich meinen Kaffee über ihr gesamtes Shirt verteilt habe, sind wir wohl auch keine gänzlich Fremden mehr. Also?“

    „Caleb“, ergänzte ich. „Also, Caleb. Ich bin Livia und das ist meine Nummer. Ruf mich einfach an, ich muss jetzt leider schnell zur Arbeit.“ Sie winkte noch einmal kurz und verschwand dann hinter der nächsten Ecke. Wie süß sie mich über diese Tatsache informierte. Ach Livia, das wusste ich doch schon.

 

Ich starrte mein Handy an und dann blickte ich wieder durch das Fenster ihres Verlagsgebäudes. Sie blätterte gerade in einem Manuskript, blickte abwechselnd darauf und auf ihr Handy. Sie dachte bestimmt an unsere Begegnung, genauso wie ich. Ich hatte sie berührt, wenn auch nur kurz und zum ersten Mal hatten die Worte, welche ich von ihr vernahm, mir gegolten. Das Bedürfnis sie sofort anzurufen wurde mit jedem Moment, in dem ich an unsere Begegnung dachte größer und größer. Aber ich musste warten, warten bis der Gedanke an mich in ihrem Kopf immer präsenter wurde. Ich würde es in ihrem Gesicht erkennen. Sie war schon jetzt auf einem guten Weg, dabei war unsere Begegnung nur wenige Stunden her. Weiter so, Livi, immer weiter so!

 

Es war so weit. Am Abend, als sie wieder in ihrer Wohnung saß, starrte sie ununterbrochen auf ihr Handy, während sie sich immer wieder mit der Hand durch die Haare fuhr. Sie dachte an mich und sicher nur an mich. Als passende Belohnung rief ich sie an. Ich sah, wie sie zusammenzuckte, dann aber lächelte und schließlich zu ihrem Handy griff. „Hallo, hier ist Livia“, meldete sie sich mit einem aufgeregten Räuspern. „Hey, ich bin es, Caleb. Du weißt schon, der Typ, dem du heute Morgen eine Kaffeedusche verpasst hast.“ Ihr Lächeln wurde größer.

   „Ja natürlich, ich erinnere mich.“ „Na ja, also ich habe mich gefragt, ob du als Wiedergutmachung etwas mit mir essen gehst?“ „Ähm …“, sie schaute erst etwas verunsichert und ihre Augen musterten abschätzend ihre Hände. „Okay, ja, ich bin dabei.“ Und schon hatte ich sie am Haken.

   „Super, ich freu mich. Ich hole dich um acht ab.“, ich versuchte mir meinen Triumph nicht anmerken zu lassen. „Heute? Alles klar. Bis gleich.“ Hektisch sprang sie auf und fing an, suchend durch die Wohnung zu laufen. Bis später mein Engel. Ich machte auf dem Absatz kehrt.

 

Eigentlich müsste ich nervös sein. Aber ich war es nicht. Ich war eher erfüllt von einer eisigen Ruhe. Endlich würde es passieren, sie würde MEIN werden. Denn unsere Geschichte lag nun in meinen Händen. Und ich würde dafür sorgen, dass sie ein Märchen wird. Ich war doch ihr Held, oder nicht? Ich würde sie von dem Alleinsein befreien, vielleicht auch von der Last, die sie seit dem Tag, an dem ich sie zum ersten Mal sah, mit sich herumtrug. Ob sie mir die Details erzählen würde? Ob sich zu den atemberaubenden Bildern von ihr auch noch ihre sanfte Stimme hinzufügen würde. Ich hörte es schon fast in meinem Kopf, wie sie es beschrieb – das Gefühl diesem abartigen Menschen das Leben genommen zu haben. Das war es, was sie für mich besonders oder gar einnehmend machte, dieses Geheimnis, ihre Schuld.

 

Um fünf vor acht stand ich vor ihrem Appartement, ich hatte es nicht länger ausgehalten. Außerdem konnte ich so vorher noch einen Blick von ihr erhaschen. Sie sah wunderschön aus und so elegant, in ihrem kurzen schwarzen Kleid, mit dem goldenen Schmuck und den hohen Schuhen. Ich klingelte. Keine dreißig Sekunden später öffnete sie die Tür. Kurz verschlug ihre Schönheit mir den Atem.

  „Bereit?“, fragte ich betont lässig, um meine Überraschung zu überspielen. „Bereit, wenn du es bist.“ Und wie ich bereit war, auf diesen Moment wartete ich seit zwei Jahren, seit Tag Nummer eins.

 

Wir gingen ein paar Blocks nebeneinanderher, redeten über Belangloses – nichts, was ich nicht schon vorher gewusst hätte. Dabei stellte sich mir die Frage, warum ich nicht schon viel früher in ihr Leben getreten war. Es war so leicht gewesen. Und wieder legte sich Ruhe über mich, denn ich wusste ab heute würde ich für immer ein Teil ihres Lebens sein, solange ich lebe und darüber hinaus.

 

Wir saßen uns gegenüber, bei dem kleinen noblen Italiener und sie hörte gar nicht mehr auf zu kichern.

   „Und weißt du schon, was du bestellen willst?“, fragte ich beiläufig. „Irgendwie bin ich mir noch nicht sicher. Weißt du es schon?“

  „Ich nehme die Penne all´arrabbiata“, ich tat zwar, als würde ich überlegen, doch ich wusste, es war auch oft ihre erste Wahl beim Italiener gewesen. Meine Entscheidung war also von Anfang an klar gewesen.

   „Sehr gut, ich glaube, die nehme ich auch!“ Sie schien so fröhlich und lächelte mich dauerhaft an. Ich liebte es zu wissen, dass ihr Lachen heute mir geschenkt wurde – ich liebte sie.

 

Wir fanden heraus, dass wir die gleiche Musik gut fanden und die gleichen Filme schauten. Schon wieder ein Aspekt den ich bereits vorher gewusst hatte. Schließlich hörte ich die Musik ihretwegen, schaute die Filme ihretwegen. Es waren Dinge, die gefielen mir, weil sie ihr gefielen. So einfach war das.

 

Ich zahlte und brachte sie nach Hause. Wie es sich für einen Gentleman gehörte. Vor ihrer Tür angekommen fing sie an zu stammeln,

  „Es war echt ein schöner Abend. Würdest du ... ich meine, möchtest du eventuell noch kurz mit hereinkommen?“ So leicht war es gewesen mit ihr zu diesem Punkt zu kommen, genauso wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich fühlte mich vertraut für sie an, wir hatten ja auch so viele Gemeinsamkeiten – Ähnlichkeiten.

   „Klar, gerne!“, erwiderte ich lächelnd. Wenn sie nur wüsste, wie viel Freude wirklich hinter meinem Lächeln steckte. So lange hatte ich auf diesen Moment warten müssen, hatte nie dazu gehört, immer nur von Außen beobachtet. Das war vorbei. Endlich hatte ich es reingeschafft! Rein in ihre Wohnung, rein in ihr Herz und erst recht rein in ihr Leben – in unser Leben.

 

Die Wochen vergingen und immer mehr nahm sie mich als festen Bestandteil ihres Lebens an. Es gab kaum mehr einen Tag, an dem ich ihr von außerhalb bei etwas zuschauen musste. Jetzt konnte ich dies permanent aus nächster Nähe tun. Ich genoss jeden Blick, jede Berührung, jedes Lächeln auf meine ganz eigene Weise. Alles, wobei ich sie früher beobachtet hatte, machten wir jetzt zusammen. Wir schauten fern, wir duschten gemeinsam, ich brachte sie morgens mit einem Abstecher zum Café zur Arbeit. Wir liebten uns und ich lernte sie nochmal von einer ganz anderen Seite kennen. Doch obwohl wir uns so nah waren, blieben ihre Geheimnisse verschlossen. Und jeden Tag kratzte es etwas mehr an meinem Ego, dass sie sich mir nicht vollständig öffnete. Denn eine Sache war klar sie gehörte mir, nur mir.

 

Meistens verstand sie das auch, zumindest zu Beginn. Aber mit der Zeit wurde sie lockerer und ich musste mir eingestehen, dass es mir immer mehr missfiel. Wie konnte sie es überhaupt wagen, andere Männer anzuschauen oder gar mit ihnen zu reden? Wenn ich sie dabei beobachtete, wie sie mit einem Kollegen sprach, mit dem Barista oder nur mit dem verdammten Postboten, dann brodelte in mir etwas. Zorn. Und zwar auf jeden, der es wagte, mein Mädchen zu beanspruchen, anzuschauen, sie mir wegzunehmen. Was, wenn sie jemand besseren fand als mich? Jemandem dem sie von ihrer Schuld erzählte?

 

Eines Abends kam sie nicht zur gewohnten Zeit nach Hause. Ich hätte sie weiter im Blick behalten sollen. Warum war ich schon gegangen, um das Abendessen vorzubereiten? Das hätten wir schließlich auch gemeinsam machen können.

 

Als nach einer Stunde immer noch nichts passiert war, brannte bei mir eine Sicherung durch. Sie musste bei einem anderen sein. Sie betrog mich. Dieses kleine dreckige Miststück! Dafür würde sie büßen mir so etwas anzutun. Ich war perfekt für sie geworden. Hatte sie ins letzte Detail studiert, bis ich in der Lage gewesen war, den fehlerlosen Freund abzugeben. Hatte ich ihr nicht alles gegeben? Mein Leben, meine Zeit, meine Aufmerksamkeit? War das etwa nicht genug für sie, um nicht mit dem nächstbesten in die Kiste zu steigen? Ich rief sie an. Dreimal. Doch sie ging nicht ran. Was bildete sie sich ein? Sie hatte an ihr Handy zugehen, wenn ich sie anrief. Bisher war sie immer erreichbar gewesen. Meine Wut wuchs und wuchs, bis ich kochte. Und da hörte ich es, einen Schlüssel. Oh Livia, was hast du nur getan?

 

„Hallo, Liebling“, rief sie fröhlich aus dem Flur. Ich antwortete nicht.       „Caleb? Bist du da?“, fragte sie erneut.

„Ja“, meine Antwort kam schnell und abgehackt, die Wut hielt meine Worte zurück. Da erschien sie in der Küche.

   „Alles ok bei dir? Ist etwas passiert?“, sie wirkte ernsthaft besorgt. Ich lachte, ich konnte nicht anders, es war ein trockenes sarkastisches Lachen, welches tief aus meiner Seele kam.

   „Das fragst du mich nicht echt, oder?“, ich schüttelte ungläubig den Kopf.

    „Doch natürlich. Ich möchte wissen, was los ist.“ Sie wirkte immer noch so verständnisvoll und ruhig. Das machte mich noch rasender.     „Wie heißt er, Livia? Bei wem warst du gerade? Hat er dich berührt, habt ihr ...?“, ihr Kopf wurde rot.

    „Was unterstellst du mir? Ich war nur länger bei der Arbeit, weil es im Verlag noch ein Problem mit einem verschwundenen Manuskript gab.“ „Und das soll ich dir glauben? Sag mir doch einfach die Wahrheit!“ Meine Stimme wurde lauter.

   „Aber das tue ich doch“, sie war den Tränen nahe, doch dazu hatte sie kein Recht, sie hinterging mich, nicht andersherum.

   „Spiel hier nicht die Unschuldige! Ich wusste, dass es irgendwann so weit kommen würde, aber ich hätte gedacht, du lässt dir etwas mehr Zeit damit“, meine Stimme war nur noch ein Knurren.

   „Ich würde dir die Wahrheit sagen, wirklich! Du weißt alles über mich.“ Jetzt hatte sie es endgültig bewiesen. Sie log.  

 

„Oh Livi, ich weiß, dass du lügst. Ich kenne dich besser als du denkst!“, ich machte einen Schritt auf sie zu.

    „Wie meinst du das? Ich verstehe dich nicht“, sie runzelte die Stirn.

     „Kannst du dich denn gar nicht mehr an, wie hieß er nochmal, sein Name stand schließlich in allen Zeitungen …, ach ja, Hunter, erinnern? Denn ich erinnere mich sehr gut an das Bild, wie du ihn erschlagen hast.“ Blass und entsetzt waren wohl die zwei passendsten Worte, um sie gerade am besten zu beschreiben.              „Wie? ... Wer bist du?“, ihre Stimme klang beängstigend ruhig, was einen großen Kontrast zu ihrem erschrockenen Gesicht bildete.      „Na, Caleb. Wer denn sonst. Dein Freund. Der, der so perfekt war. Hast du echt geglaubt, jemand würde so deinen Wünschen entsprechen, ohne dich vorher gekannt zu haben?“, fragte ich neugierig. Diese Situation war so neu und so nervenzerreißend spannend – ich liebte dieses neue unbekannte Gefühl, nicht zu wissen, wo dieses Gespräch hinführte.

   „Ich weiß auch nicht. Ich habe dich nie infrage gestellt. Oh mein Gott, ich habe dir damals nicht mal gesagt, wo ich wohne oder? Und dennoch hast du mich von meiner Haustür abgeholt. Früher dachte ich mir nichts dabei. Aber jetzt …“, sie wich zurück. Mh, ja mach es noch reizender, zwing mich dich zu mir zu holen, dich weiter zu jagen.

 

„Ich habe alles gesehen. Deshalb weiß ich alles. Nicht etwa, weil du es mir erzählt hast. Ich habe es so sehr gehofft, Livi, aber das hast du nun mal einfach nicht. Warum also sollte ich jetzt auf dein Wort vertrauen?“

   „Du hast das damals mitbekommen und nichts gesagt?“, die Frage kam schneller aus ihr herausgeschossen, als eine Kugel aus einem Revolver.

   „Nein, Livi, genau in dem Moment habe ich mich in dich verliebt. Ich wollte nie wieder einen Tag ohne dich sein. Also war ich es nicht.“ 

    „Das hast du für mich getan?“, Tränen stiegen ihr in die Augen. Ich war verwirrt, warum war sie nicht verunsichert oder zornig? Warum schrie sich mich nicht an? Das ging in eine ganz andere Richtung als ich kurz dachte.

    „Danke!“

„Wofür?“, ich konnte nicht anders, als mich zu wundern, was auf einmal los war.

   „Dass du das alles für mich gemacht hast, du Dummerchen.“, sie machte wieder einen Schritt in meine Richtung und schaute zu mir hoch. Direkt in meine Augen.

  „Ich würde es immer wieder tun.“ Was brachte es schon, sich darüber Gedanken zu machen, warum sie sofort so einsichtig gewesen war. Sie mochte, was ich für sie getan hatte. Ihr gefiel der Gedanke, dass ich alles wusste, dass ich ihr zugeschaut hatte. Sie war dankbar. Dankbar für mich.

 

Sie hatte eine schönere, dunklere Seele als ich gedacht hatte. Sie überraschte mich immer wieder. Warum waren wir nur so perfekt füreinander? Hatte Gott mich extra an diesem Abend zu ihr und nicht zu Lucy geführt? Um unsere Geschichten zu vereinen? Sie vollkommen zu machen?

 

Ich beugte mich runter und küsste sie. Nie würde ich jemanden auf die gleiche Art und Weise begehren wie diese Frau. Nie würde eine Liebe, die ich fühlte, so tief und düster in meinem Herzen verweilen. Und vergessen war die Ursache des ´Streits´, als sie mich auf ihre süße Weise zurückküsste.

 

Sie löste sich von mir.

   „Lass uns etwas essen, ich bin am Verhungern.“

„Wie du es wünscht, Prinzessin.“ Also aßen wir und redeten. Alles war wie immer, nur noch etwas intimer. Es war auf eine komische Art schön, dass sie jetzt noch abhängiger von mir war – jetzt, wo ich zugegeben hatte, über ihr Geheimnis Bescheid zu wissen. Jetzt konnte sie sich noch weniger von mir trennen. Sie war viel gefangener, hatte nur noch so wenig Macht. Sie musste mich mehr lieben, als je zuvor.

 

Sie räumte ab.

  „Caleb, kannst du mir mit dem Abwasch helfen?“ Sie war so hilfsbedürftig.

   „Klar, Liebling.“ Ich stellte mich neben sie und half ihr, ich half ihr so, wie ich es als Held immer tat. Denn das war ich nun endlich für sie, ihr Held. So wie ich es geplant hatte …

 

Ich sah es aufblitzten, bevor es überhaupt mein Fleisch durchbohren konnte. Sie zielte mit einem Messer auf mich. Leichtfüßig wich ich zurück. „Na na na, was machst du denn da?“, fragte ich süffisant. Ich genoss diesen unerwarteten Moment, wie erregend er war.

   „Du Scheißkerl bist ein Stalker. Du hast mich beobachtet und dann alles verwendet, um mich ins Bett zu bekommen. Du bist schlimmer als Hunter, du hättest es viel mehr verdient unter der Erde zu liegen wie er.“

 

Sie wollte spielen? Das konnte sie haben. Oh Livi, so würde unsere Geschichte nicht enden, nicht, wenn ich mitschrieb. 

 

 

ENDE

 


 

 

Agentin, Abgeordnete und als jemand …!

(Urheberrechte & Copyrights © by Jolanta Amanda)

 

Ich finde es interessant gefragt zu werden, wie ich mir als 17-Jährige mein späteres Leben vorstelle. Im Allgemeinen gibt es nämlich immer dieses Gefühl, dass ich als Jugendliche in Deutschland, trotz allen Möglichkeiten, die ich dank meinen Eltern, meinem Bildungsniveau und dem Staat selbst habe, trotzdem nicht selbst „laufen“ lernen kann. Denn im Grunde läuft es doch darauf hinaus, dass ich und all die anderen jungen Menschen in meinem Alter nahezu identische Leben führen werden, wenn wir einmal alt und schrumpelig sind. Beginnend in der Schule, wo wir schon im Alter von vielleicht 12 Jahren nach unseren Leistungen eingeteilt und kategorisiert werden, um uns „individueller“ fördern zu lassen. Mit der Folge, dass es gravierende Einschnitte in die Welt der Kinder gibt, und man als Oberschüler plötzlich als ein „Assi“ oder Hartz-4-Empfänger eingestuft wird. Nach der Schule geht es in die Universität, wo die beste Zeit unseres Lebens sein soll. Jedoch wird uns nicht nur das Bier eingetrichtert, sondern auch der Gedanke, dass wir unsere Hochjahre mit wilden Partys und viel Alkohol verbringen sollen, um unvergessliche Erinnerungen zu schaffen, anstatt die Energie unserer jungen Jahre zu nutzen und etwas Bedeutsames aufzubauen.

 

Damit meine ich die vielen Energien, die aus dem körperlichen Zustand eines jungen Menschen hervorgehen, aber auch die Träume, Visionen und das Potenzial, was genutzt werden sollte, um in diesen Jahren hart durchzuarbeiten, um sich sein Traumleben zu ermöglichen und zu realisieren. Denn danach geht alles nur noch bergab und die Kugel rollt die Straße wieder runter. Ab circa 30 Jahren werden wir alle in gleichen Häusern von denselben Baufirmen leben und uns darüber empören, dass der abgehobene Nachbar in dem großen Haus nebenan schneller einen Termin mit der PV-Firma bekommen hat als wir. Unsere „Freunde“ sind Menschen, mit denen wir in vergangenen Zeiten Gemeinsamkeiten hatten, doch schon lange nichts mehr zusammen haben und uns nur die Erinnerungen an damals verbindet. Und sonntags, wenn der Mann gerade wieder vom Frühschoppen mit seinen Jungs, sich übel nach Bier riechend an den gedeckten Mittagstisch setzt und das fertig gekochte Essen ohne einen Mucks runterschlingt, werden wir uns fragen, ob wir im Leben alles richtig gemacht haben. Dann fängt die Midlife-Crisis an und wir merken, dass nicht mal der jährliche Urlaub auf den Kanaren auch ohne Kinder uns davon abhält unser Leben infrage zu stellen oder uns die Entscheidungen nicht von selbsternannten Doktoren in Ratgeber-Büchern abgenommen werden. Die crazy Mäuse unter uns werden natürlich auch mal für zwei Monate zum Detox in einen buddhistischen Tempel nach Bali abhauen, aber letztlich stehen wir alle vor demselben Dilemma. Nicht unseren Traum gelebt zu haben und zu viele Entscheidungen auf Grundlage von der Meinung anderer getroffen zu haben, ohne dabei wir selbst zu sein.

 

Also wozu sich Gedanken machen, was ich mir für mein späteres Leben erträume,  wenn meine eigenen Zukunftsperspektiven doch eigentlich aussichtslos sind. Trotzdem freue ich mich, dieser Frage nach meiner eigenen Zukunft auf den Grund zu gehen. Denn natürlich hat sich jeder in meinem Alter schon Fragen gestellt. Was macht mich glücklich? Was will ich werden? Was ist mir wichtig? Wie werde ich schnell Millionär? Und so weiter… .

   Früher,  als ich süße 15 Jahre alt war, wollte ich immer Spionin werden, weil ich unzählige Bücher dazu verschlungen habe und mich in meinem Kopf in immer schärfere und riskantere Situationen gedacht habe.   Lasst es mich euch beschreiben. Stellt euch Folgendes vor. An einem kalten Wintertag betritt ein alter, dickwälziger Mann ein edles Restaurant in einer wilden Großstadt und geht unter den Blicken der verstummten Gäste mit gezielten und langsamen Schritten zur Bar. Dort setzt er sich auf einen der braunen Barhocker, bei denen bereits das Leder abblättert und winkt die Barfrau zu sich. „Einen Whisky ohne Eis“, murmelt er leise unter seinem schwarzen Bart und nickt ihr zu. Die Barfrau  nimmt seine Bestellung auf und schlendert zum Regal für die teuren Spirituosen, um den teuersten Whisky herauszunehmen und dem grummelnden Mann zu servieren. Nachdem die Whiskyflasche auf der Theke der Bar steht und sie gerade ein Glas aus dem Schrank holt, betritt eine Gruppe junger Frauen das Lokal und steuert auf die Bar zu. Sie haben kurze glitzernde Kleider an und quieken vergnügt herum. Der Alte starrt belustigt auf die Frauen, die halb so alt sind wie er und ist einen Augenblick abgelenkt, was ganz im Interesse der Kellnerin hinter der Bar ist, die im Moment der Unachtsamkeit des Mannes ein kleines blaues Fläschchen aus der Schürze zieht  und im Schutz des Glasregals zwei Tropfen farbloser Flüssigkeit in das Whiskyglas des Mannes fallen lässt. Dieser wendet währenddessen wieder schnell den Blick von den jungen Frauen ab, die ihn von seinem hohen Alter angeekelt anschauen. Jedoch nicht schnell genug, um zu sehen, wie das kleine blaue Fläschchen wieder in der Tasche der Barfrau verschwindet, die sich galant wieder der Whiskyflasche zuwendet und den Deckel abdreht, bevor sie das Glas mit den Tropfen zu etwa ein Drittel befüllt. Der Mann, mürrisch den Augenschmaus an Mädchen nun gezwungenermaßen aus den Augen lassen zu müssen, nimmt das Glas der Kellnerin ohne ein Wort aus den Händen und trinkt einen langen Schluck.

 

Die Damen neben ihm beginnen aufgeregt durcheinander zu gackern, als ihre Bestellungen aufgenommen werden und sie sich nicht entscheiden können, als ihm plötzlich ein mulmiges Gefühl den Rachen hochsteigt und einen seltsamen Geschmack im Mund hinterlässt. Er beginnt schnell mit den Augen zu blinzeln, die auf einmal ganz trocken werden und leckt sich mit der Zunge über die rauen Lippen. Kurz darauf setzt ein Schwindelgefühl ein und er unterliegt unkontrollierten Gefühlswallungen, die ihn das Gefühl für Raum und Zeit vergessen lassen, bevor er in sich zusammensackt und vom Hocker rutscht. Er wird bewusstlos, bevor er den erschrockenen Schrei einer der Frauen hören kann und versinkt in tiefer Dunkelheit.

 

Die Kellnerin geht schnellen Schrittes um den Bartresen herum, hebelt den dicken Mann mit geübter Technik auf und zieht ihn durch die Tür hinter der Bar aus dem Lokalbereich durch die Küche in ein Hinterzimmer. Dort legt sie ihn auf eine Liege aus hartem Holz und legt ihm Handschellen um, schnallt ihn fest. Und diese Frau, die den Mann ausgeknockt, geschleppt und gefangen hat, bin ich. Es bin .., einfach ich.

 

Überraschung. Agentin des Geheimdienstes, die wandelbar, unberechenbar und absolut präzise ist und jeden Auftrag mit höchster Exaktheit ausführt. Ich stehe für die gewalttätige und vielleicht ein bisschen illegale Seite der Polizei, somit auch des Staates und der Regierung. Ihr fragt euch, aber wer ist dieser Mann und was hat er so Schlimmes getan. Ich würde es euch ja gerne sagen, aber als Agentin unterliege ich genauso der Schweigepflicht wie euer Zahnarzt und kann leider keine wichtigen Informationen über meine Ziele preisgeben, aber so viel sei euch gesagt. Der Mann hat nicht nur Butter mit Nutella auf ein Brot geschmiert (was laut persönlicher Einschätzung höchsten Grades illegal ist) oder Wandersandalen mit Tennissocken getragen (was ein hohes Verbrechen laut dem allgemeinen Modekodex ist), nein, dieser Mann hat sich mit Verbrechen wie Prostitution, Drogenhandel und Waffenschmuggel strafbar gemacht. Ja es gibt sehr böse Männer auf der Welt,  aber um die geht es jetzt ja nicht. Denn mein großer Wunsch war es früher eine Spionin zu werden und eben solche Verbrecher ausfindig und kaltzumachen. Ich will große Kriminelle zu Fall bringen und in Staatsangelegenheiten agieren, immer mit dem Hintergedanken, die Welt von sexistischen und gewaltsamen Monstern zu befreien.

 

Die Menschen sollen Respekt vor einer Frau wie mir haben und am besten auch Angst, sodass ich ohne schlechtes Gewissen meine Arbeit machen kann. Aber darüber hinaus werden sich die Menschen, die ich liebe und denen ich mein Vertrauen geschenkt habe immer meiner bedingungslosen Unterstützung sicher sein können. Ich werde sie um alles in der Welt beschützen und für ihr Wohlergehen sorgen. Auch wenn es sich um meine Schwester handelt, die meiner Meinung nach viel zu frech ist  oder meine beiden Eltern, die unangenehme Sex-Witze zum Abendessen loslassen. Egal. Um sie alle wollte ich mich als mächtige Agentin kümmern und sorgen. Mir war  bewusst, dass man in einem solchen Job viele Feinde haben würde, aber dieses Risiko war ich bereit einzugehen, um meinen Traum eines wilden und aufregenden Agentenlebens zu verwirklichen. Denn ein solches Leben war das, was ich mir wünschte, als ständiges Ziel, dem tristen deutschen Alltag entkommen, mein eigenes Glück in fremden Ländern zu finden und viel Geld zu verdienen. Aber das war eben mein Traum, als ich noch jünger war. Freut mich, dass ihr es euch bis hier hin angehört habt und versucht, das Durcheinander in meinen Wünschen nachzuvollziehen, denn gedanklich machen wir nun eine komplette Kehrtwende.

 

Ich habe mir also weiter Gedanken gemacht, um die Fragen zu beantworten, die sich jeder schon mal gestellt hat. Und zwar: Was macht mich glücklich? Was will ich werden? Was ist mir wichtig? Und wie werde ich schnell Millionär? Diese Fragen mit einer Gegenfrage zu beantworten, ist vielleicht nicht das Ideale, aber zunächst ist es wichtig zu erklären, was sich in diesen zwei ein halb Jahren bei mir verändert hat. Ich habe nämlich meine Liebe zum Bundestag entdeckt und damit meine ich nicht, dass ich jeden Abgeordneten zu tiefst verehre und Angie Merkel meine Göttin ist. Nein, damit meine ich, dass ich es absolut befriedigend finde, wenn sich die Abgeordneten gegenseitig an fetzen und sich gegenseitig heruntermachen, nur um auch ein kleines Stückchen des Puddings der Macht mit dem Geschmack Bundesrepublik Deutschland abzubekommen. Wenn Abgeordnete keine weitsichtigen Entscheidungen treffen, deren Folgen die deutschen Bürger dann zu spüren haben oder mehrere Hunderttausend bei Maskendeals verdienen, ohne später Rechenschaft dazu ablegen zu müssen.

 

Mich würde es wirklich glücklich machen, als Abgeordnete im Deutschen Bundestag zu sitzen und die Karten des politischen Dialogs neu zu mischen. Statt Aussagen wie „Vor den nächsten Wahlen, spende ich noch Geld an Eisbären in Not, um meine Wählerschaft zu mobilisieren“ oder „Eine Hand wäscht die andere und ein Po wischt den anderen“, würde ich lieber hören „Im Sinne unserer Wähler wäre“ …, „auf Grundlage von wissenschaftlichen Untersuchungen entscheiden wir nun Folgendes“ …, oder am wichtigsten: „Das Tragen von Wandersandalen mit Tennissocken sollte in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden“.

  Das würde ich gerne verändern und einen pikanten Hauch Sozialität und Gemeinschaftsdenken in die deutsche Politik einbringen. Deshalb will ich gerne Politikwissenschaften studieren und Abgeordnete im Deutschen Bundestag werden. Zusätzlich klärt sich meine vierte Frage, da ich dann zwar auf legalem Wege kein Millionär mehr werden kann, aber trotzdem ein gutes Gehalt verdienen werde, kann ich mein Leben im vollen Zuge genießen und mir vielleicht auch endlich mal so einen Wassersprudler leisten. Kennt ihr sowas und wisst, was ich meine? Das ist so ein Gerät, da macht man normales Leitungswasser in so einen Becher rein, macht einen Deckel drauf und dann werden einfach Sprudel-Bläschen reingepumpt. Find ich ziemlich verrückt, liegt nur leider nicht im momentanen Preisbudget. Na ja, weiter. Welcher Partei ich mich anschließe, ist noch eine ungeklärte Frage, da jede deutsche Partei etwas Dreck am Stecken hat, aber ich habe ja noch Zeit mich zu entscheiden. Vielleicht gibt es bis ich so weit bin, schon viele neue Parteien in Deutschland und mir gefällt eine davon oder in drei Jahren sehen meine Zukunftspläne und Vorstellungen über mein Traumleben schon wieder ganz anders aus.

 

Jetzt habe ich über meine Jobwünsche erzählt und ausführlich davon geschildert. Nun fehlt aber noch der wichtigste Teil meines zukünftigen Lebens. Was macht mich glücklich und wie kann ich es umsetzen? Wenn ich daran denke erwachsen zu sein, dann ist das für mich mit viel Verantwortung und haufenweise Verpflichtungen verbunden, die nur schwer zu erfüllen sind. Viele Berufliche leiden unter täglichem Arbeitsstress oder dem Pflichtbewusstsein ihren Familien gegenüber, dass sie leicht ihr eigenes Wohl vergessen und sich selbst hinten anstellen. Das möchte ich auf jeden Weges vermeiden und mein seelisches Wohlbefinden immer vor meinen materiellen Besitz stellen.

 

Ich will mich mit Sachen beschäftigen, die  mich wirklich interessieren, mit Leuten meine Zeit verbringen, die ich wirklich mag und die mein Leben lebenswerter machen, aber vor allem will ich nie den Kontakt zu mir selbst verlieren. Damit meine ich, dass ich mich immer frage:  „Tut mir das gut?“, und „will ich das wirklich?“. Auf mich selbst zu hören und mein Glück nicht auf anderen Menschen aufzubauen. Denn ich habe Angst davor, die Welt als Erwachsene als selbstverständlich anzusehen und genau wie meine Eltern aufzuhören, alles zu hinterfragen. Mir macht es Spaß mir die alltäglichen Sachen anzusehen und mich zum Beispiel zu fragen, warum Orangen orange und nicht grün sind oder wieso sich alte Holztüren nach einiger Zeit zusammenziehen. Wieso regieren Menschen manchmal genervt und manchmal glücklich? Was hat sich wohl Armstrong gedacht, als er als erster Mensch die Erde vom Mond aus gesehen hat?

 

Mochten sich die Beatles gegenseitig überhaupt? Welches Gefühl war es wohl, während des Goldrausches in Amerika ein Stück Gold zu finden? War Ludwig der Vierzehnte einmal in seinem Leben richtig verliebt gewesen und hat dann einen Korb bekommen? Alles Fragen, die ich mir so stelle und auf die ich wahrscheinlich nie eine Antwort bekommen werde. Aber darum geht es mir ja nicht. Ich will die Dinge hinterfragen und mir Geschichten dazu ausdenken. Ich will während meines Lebens Erfahrungen sammeln, Freundschaften knüpfen und täglich mein Wissen erweitern. Ich will mir außerdem ein  genießbares Umfeld aufbauen und wahrscheinlich auch heiraten. Aber ich will bei allem, was ich in meinem späteren Leben vorhabe und mache, nie verlernen ein Kind zu sein und meine Kreativität beibehalten. Meine Erinnerungen und Träume in Geschichten zu verwandeln und meine eigene Realität zu erschaffen. Menschen mit meinen Passionen anstecken und zum Nachdenken bewegen. Gefühle zulassen und mich ihnen hingeben.

   Meinem Herzen folgen und meinen Kopf nach Rat fragen. Doch ich weiß, dass es nicht einfach ist im Alltagsstress all das zu erhalten, immer einen klaren Kopf zu haben und jeden Tag zu genießen. Doch darum geht es ja beim Erwachsenwerden. Egal ob ich Spionin, Bundestagsabgeordnete oder etwas anderes werde, alles ist ein Teil auf dem Schritt mich am Ende meines Lebens hoffentlich selbst gefunden zu haben und alles verstehen zu können. Zu begreifen, dass jeder Schritt wichtig und nötig war, um am Ende glücklich zu sein. Zu erkennen, dass man Entscheidungen mit dem Herzen trifft und nicht aus Habgier oder Eifersucht.

 

Und dass dir jeden Tag Chancen geboten werden, die du nur ergreifen musst, um dein eigenes Leben zu gestalten und du selbst zu werden.

 

In dem Sinne, mach es gut, pass auf dich auf und wenn du denkst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein „Weinchen“ her. In diesem Sinne „vamos!“, und einen guten Tag.

 

 

ENDE 

 

 


Kurz-Vita Emily

 

Stellt euch einmal vor: Ihr sitzt auf der Rückbank im Auto. Der Beifahrer hat vorne das Fenster heruntergelassen und der warme Sommerwind fährt euch durchs Gesicht. Über euch der Sternen-himmel und das Radio auf voller Lautstärke. Das sind die Momente, in denen mir die Ideen für meine Geschichten einfallen. Aber wer bin ich eigentlich? Momentan bestimmt die Schule noch meinen Alltag. Lieblingsfächer sind fast schon zu erwarten: Deutsch und Geschichte. Lektorin war ziemlich lang mein Berufswunsch, was mir jetzt aber zu langweilig geworden ist. Meine Gedanken wandern aktuell zur Filmbranche. Das Geschriebene zu verbildlichen. Doch das Ziel irgend-wann in Hamburg zu wohnen bleibt natürlich. Mit Erlebnissen wie mit dem Kanu im Schilf festzustecken, sich in sämtlichen Städten zu verlaufen, zusätzlich eine Katze namens Müsli als Wegbegleiter beim Schreiben oder einfach nur eine Zugfahrt nach Mecklenburg-Vorpommern sind Dinge, die meine Kreativität zum Strahlen bringen. Letztendlich sind es doch diese Besonderheiten, Wünsche und Erlebnisse, die uns ausmachen, nicht wahr?

 

 

Ein Freund – Eigene Träume 

(Urheberrechte & Copyrights © by Emily Lotz)

 

 

Der Geruch von abgestandener Luft und Schweiß kroch mir in die Nase und ich verzog angewidert das Gesicht. Eine der Lampen an den mit Graffiti beschmierten Wänden flackerte und setzte teilweise komplett aus. Meine Schritte wurden automatisch schneller. Mein Koffer schlingerte hinter mir her. Durch meine Kopfhörer wummerte der Bass meiner Playlist. Eilig huschte ich zwischen den Menschen hindurch, die ebenfalls durch den Tunnel zu ihrem Zug liefen. Lachende Rufe hallten an mein Ohr, als zwei Kinder an mir vorbeirannten und offensichtlich Fangen spielten.

 

Ich erreichte die Treppe zu den Gleisen zwei und drei und begann, meinen Koffer jede einzelne Stufe hinaufzuziehen. Währenddessen betete ich, dass mein Parfum nicht im Inneren meines Gepäckstückes zerbrach, obwohl ich es vorsorglich in drei dicke Pullis eingewickelt hatte. Der Koffer setzte jedes Mal ziemlich hart auf dem Beton auf, doch er war zu schwer, um ihn komplett zu tragen.

 

Von oben strahlte mir das Tageslicht entgegen und je höher ich kam, desto mehr wärmte mir die Sonne das Gesicht. Ich atmete noch einmal tief durch, erklomm die letzte Stufe und stand somit auf dem Bahnsteig. Auf einer schmalen blauen Anzeigetafel wurde mir mitgeteilt, dass hier der Zug nach Bremen abfahren würde. Die Uhr daneben zeigte fünf vor halb zwölf. Mein Transportmittel sollte also jeden Moment ankommen.

 

Der Wind frischte wie aufs Stichwort auf und kündigte die Einfahrt eines Zuges an. Wenige Sekunden später, sah ich die rote Spitze des Regionalexpress auf den Bahnhof zu rauschen und das Quietschen der Bremsen erfüllte die Luft. Als der Zug zum Stehen kam, begann ein reges Getümmel um mich herum. Durch eine Lautsprecheransage wurde die Ankunft des Zuges RB23 kundgegeben und die Menschen griffen eilig nach ihren Koffern und liefen Richtung einer der Türen, die sich in diesem Moment zischend öffneten. Auch ich lief mit dem Strom und quetschte mich in den Zug. Drinnen angekommen, war die Luft stickig und ich beeilte mich in eines der Abteile zu gelangen, um mir einen Platz am Fenster zu sichern. Das passierte jedoch nicht so schnell wie geplant, denn ich schlich minutenlang hinter einer älteren Dame her, bis diese endlich ihre Freundin gefunden hatte und sich noch langsamer als sie gelaufen war, auf ihren Platz setzte.

 

Von weitem sah ich den perfekten Sitzplatz und lief darauf zu. Er hatte einen kleinen Spalt am Fenster, den man aufklappen konnte, was ich auch direkt tat. Frische Luft strömte herein und ich atmete einmal tief ein, bevor ich meinen Koffer auf das Gepäckabteil über mir wuchtete. Meinen Rucksack, den ich bis zu diesem Zeitpunkt auf dem Rücken getragen hatte, stellte ich vor mich und holte mir mein mitgebrachtes Buch heraus.

 

Doch bevor ich begann zu lesen, brauchte ich noch zwei Minuten Ruhe von dem ganzen Trubel und dem Stress bis hier her. Ich lehnte mich in meinem Sitz zurück und schloss für einen Moment die Augen.

 

Plötzlich spürte ich, wie sich jemand auf den Sitzplatz neben mir fallen ließ. Ich öffnete meine Augen und beobachtete meinen neuen Sitznachbarn durch das spiegelnde Glas des Zuges. Ich konnte seine Gesichtszüge nicht klar definieren, da die Scheibe mir sein Spiegelbild leicht verschoben doppelt zeigte. Seine hell-braunen Haare fielen ihm ins Gesicht, als er seine Tasche vor sich auf den Boden stellte und nach irgendetwas kramte.

 

Die Stimme des Zugfahrers ertönte verzerrt und undeutlich durch den Lautsprecher über der Tür zum nächsten Abteil und kündigte uns die baldige Abfahrt an. Wir sollten unser Gepäck sicher befestigen und die Fahrt genießen. Ich richtete mich auf und schlug das Buch auf, was ich mir auf den Schoss gelegt hatte. Aus dem Augenwinkel erkannte ich, dass der Junge neben mir dasselbe tat. Jetzt sah ich auch, was er eben aus dem Rucksack geholt hatte. Das Taschenbuch schaute schwer mitgenommen aus und hatte nicht nur einen Fleck auf den Seiten.

 

Ich schob meine Kopfhörer tiefer ins Ohr und drehte die Lautstärke noch ein wenig höher bis es fast nicht mehr zu ertragen war. Kurz wurde ich in meinen Sitz gedrückt als der Zug ruckelnd losfuhr. Während ich auf mein Buch starrte und versuchte die abgebildeten Buchstaben in Worte umzuwandeln, wanderten meine Gedanken in eine ganz andere Richtung. Warum setzte ich mich neben ein völlig fremdes Mädchen, wenn der ganze Zug doch offensichtlich leer war.

 

Mein Sitznachbar merkte wohl, dass ich ihn von der Seite musterte. Unauffällig jemanden zu beobachten war nicht meine größte Stärke. Mit Schwung klappte er seine Lektüre zu und schaute mich auffordernd an. Ich schaltete instinktiv schon einmal die Musik aus und steckte meine Kopfhörer in die Hosentasche. „Hey.“ Aus der Situation kam ich jetzt erstmal nicht mehr so leicht raus.

 

Mal abgesehen von dem Fakt, dass ich am Fenster saß und meine einzige Möglichkeit zu fliehen war, die Scheibe mit dem kleinen roten Hammer oben in der Ecke einzuschlagen und aus dem fahrenden Zug zu springen. Ich schüttelte entschlossen den Kopf, um diese absolut wahnsinnige Idee aus meinen Gedanken zu vertreiben.

 

„Nicht hey?“ Ich bemerkte die fragend hochgezogene Augenbraue meines Sitznachbarn und erinnerte mich daran, dass er mich angesprochen hatte, weil ich ihn offensichtlich beobachtet hatte. „Sorry, hab über was anderes nachgedacht“, antwortete ich kurz angebunden und richtete den Blick zurück auf mein Buch, um mein vor Scham errötendes Gesicht zu verdecken.

   „Nettes Buch. Hab ich auch schon gelesen“, versuchte meine neue Bekanntschaft ein Gespräch zu beginnen. Ich brummte nur zur Bestätigung.

   „Es ist ziemlich unhöflich Menschen von der Seite zu mustern und dann so zu reagieren, wenn man erwischt wird.“

   „Ich habe dich nicht beobachtet“, versuchte ich mich aus der Sache herauszureden. Der Junge seufzte theatralisch. „Leugnen ist zwecklos.“

 

Ich setzte mich gerader hin und drehte mich zu ihm. „Vielleicht hältst du dich auch einfach für jemanden, den man anstarren sollte und bildest dir die Blicke ein.“

   „Kein Grund zickig zu werden. Wir wissen beide, dass ich in diesem Fall recht habe.“ Das hatte er leider wirklich und ich schwieg.

    „Wir haben jetzt drei Möglichkeiten. Entweder wir unterhalten uns wie zwei normale Menschen, die sich nicht kennen und zufällig im Zug nebeneinander sitzen oder wir werfen uns für den Rest der Fahrt zickige Antworten an den Kopf.“ Ich schaute ihn verblüfft an.         „Wer sagt denn, dass ich mit dir reden will?“, platzte es im nächsten Moment aus mir heraus. Der Junge schien leicht genervt und betonte das folgende oder ganz besonders. „Oder wir schweigen vor uns hin. Dein Gesicht nimmt die Farbe sämtlicher Rottöne an und du wirst jeden einzelnen peinlichen Moment in deinem Leben in Gedanken nochmal wiederholen, zu denen jetzt auch diese schöne Zugfahrt zählt. Ich gebe dir also hiermit die Chance dir das zu ersparen, indem du mit mir redest.“

 

Augenblicklich hatte sich mein komplettes Vokabular gelöscht. Dazu hatte ich nichts mehr hinzuzufügen. Der Junge nickte einvernehmlich. „Ich glaube, das hätten wir geklärt“, bestätigte er sich selbst. Meine Augenbraue wanderte wie von selbst nach oben. „Es tut mir fast schon leid, das sagen zu müssen. Aber du hast einen ganz gewaltigen Schaden.“ Mein Mitfahrer spiegelte meine Mimik wider und zog ebenfalls die Augenbraue nach oben. Ein kleines Lächeln schlich sich auf seine Lippen und mit honigsüßem Ton sagte er: „Das ist keine neue Information.“

 

Ich schnaufte. Der Typ war dermaßen unverschämt und doch ging diese Unterhaltung immer weiter. Obwohl ich vor Wut schäumte, bemerkte ich dieses seltsam vertraute Gefühl, das dieser Junge in mir erzeugte. Als spräche ich mit einem Freund. Vielleicht war es auch genau das gewesen, was ich vermisste, seit mein bester Freund nicht mehr so viel Zeit für mich hatte, wegen seinem neuen Freund.

 

Natürlich freute ich mich für ihn, die ganze Lovestory hatte auch mich völlig mitgenommen und schlaflose Nächte beschert. Trotzdem fehlte er mir jetzt. Unsere Treffen. Einfach mit jemandem sprechen zu können, der mir vermittelte, Zuhause zu sein. Aber komischerweise fand ich dieses Gefühl so unerwartet in der Gegenwart meines Sitznachbarn wieder. Auch, wenn das in diesem Fall ein völlig Fremder war. Manche Menschen hatten diese ganz spezielle Wirkung auf andere.

 

Urplötzlich verpuffte jeglicher böser Gedanke über mein Gegenüber. Mit einem tiefen Seufzen klappte ich den kleinen Tisch auf, der am Sitz meines Vordermanns befestigt war und legte mein Buch darauf.

   „Wenn du dich schon unterhalten möchtest, dann wäre ein Name ganz nett.“ „Manfred“, kam es wie aus der Pistole geschossen. Mein unterdrücktes Lachen äußerte sich in einem leisen Glucksen. „Sorry, heißt du wirklich Manfred? Du siehst irgendwie nicht so aus.“ Der angebliche Manfred legte den Kopf leicht schief und antwortete todernst: „Nein.“ Jetzt war ich verwirrt. „Aber das hast du doch gerade…“ „Du wolltest einen Namen. Das ist ein Name, oder etwa nicht?“, unterbrach er mich.

„Du verarschst mich doch.“

„Nein, du drückst dich undeutlich aus. Das müssen wir üben.“

   „Meine Güte, man kann es auch kompliziert machen.“

„Das sagt die Richtige.“

   „Du kennst mich seit zehn Minuten.“

„Matteo.“

   „Was?“

„Mein Name. Den wolltest du doch wissen.“

 

Wir wurden leicht durchgeschüttelt, als der Zug über einen kleinen Hügel fuhr. Mein Buch auf dem Klapptischchen rutschte leicht zur Seite. „Ich heiße Marley.“ Für einen Moment schauten wir uns beide einfach nur an, als wollten wir einschätzen, ob der Name zum Träger passte.

 

Das erste Mal seit unserem Gespräch hatte ich die Möglichkeit Matteo genauer anzuschauen. Das Blau seiner Augen wurde durch einen Ring, der aus einem noch dunklerem Blau bestand begrenzt. Die, zu Anfang geglaubten, braunen Haare waren eigentlich dunkelblond und schimmerten im Sonnenlicht golden. Durch seine rechte Augenbraue verlief senkrecht eine feine Narbe.

   „Und was führt dich in diesen Zug?“

„Ich war bei einem Freund“, antwortete ich ohne zu viel preiszugeben. „Aha, ein Freund.“ In Matteos Stimme schwang dieser bestimmte Unterton mit.

„Ja, ein Freund. Nicht das, was du denkst.“

   „Ja ja, das sagen sie alle.“

„Denk doch was du willst. Warum sitzt du hier?“

Seine Augen blitzen auf. „Weil hier ein Sitzplatz frei war und du so aussahst, als könntest du einen Gesprächspartner gebrauchen.“          „Sehe ich so aus? Interessant. Wusste ich ja noch gar nicht“, antwortete ich sarkastisch.

   „Aber wenn du es genau wissen willst, muss ich nach Hamburg für mein Studium zurück. Wir hatten Semesterferien und ich war bei meiner Familie in Dresden“, fuhr Matteo mit seiner Antwort fort, ohne meinen Sarkasmus nur einen einzigen Augenblick Aufmerksamkeit zu schenken.

 

„Nach Hamburg? Und da nimmst du diesen Umweg über Bremen? Du hättest doch direkt nach Hause fahren können.“

   Matteo zuckte mit den Schultern. „Ich fahre ganz gerne Zug. Da kann man interessante Bekanntschaften machen. Und außerdem hat mein Mitbewohner in der WG einen Putzzwang und hat für heute den Frühjahrsputz angesetzt. Pünktlich zum Semesterbeginn. Da möchte man lieber nicht in der Wohnung sein.“ Er wirkte fast schon zerknirscht und ich musste lachen. „Also kann man das als Flucht vor dem Putzen bezeichnen.“

   „So ungefähr.“ Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht.

„Hamburg finde ich allerdings ganz cool. Da möchte ich nach meinem Abi hin“, brachte ich das Gespräch zurück zum Ausgangspunkt. Matteos Gesicht hellte sich auf. „Ach, echt? Was willst du da machen? Studieren, Arbeiten, ein  Unternehmen gründen?“ Ich schaute ihn zweifelnd an. „Also ein Unternehmen wollte ich jetzt nicht gründen. Mein Plan ist aktuell Lektorin zu werden. Ich möchte entweder eine Ausbildung als Medienkauffrau beginnen und mich damit in das Verlagswesen einarbeiten oder Studieren, obwohl ich auf die zweite Option nicht ganz so scharf bin. Ein Auslandsjahr oder Praktikum wäre natürlich auch noch eine Idee.“

 

„Viele Optionen und Möglichkeiten sind ja eigentlich nie schlecht.“

  „Ach, weißt du, wenn ich jemandem erzähle, was ich vorhabe, kommt immer die gleiche Reaktion. Erst befinden sie den Beruf als speziell. So ein ungewöhnlicher Wunsch für ein junges Mädchen. Wenn sie dann hören, dass es ausgerechnet Hamburg als Wohnsitz sein muss, werden erstmal die Preise der Wohnungen erwähnt. Als wüsste ich das nicht selbst. Selbst einer meiner besten Freunde schaut mich mit diesem Blick an. Als könnte ich es nicht schaffen, weil es so viele Dinge zu beachten gibt.“

 

Matteo holte tief Luft bevor er mir antwortete. Er wirkte fast schon sauer über das, was ich ihm gerade erzählt hatte. „Weißt du, mir gehen diese Menschen auf den Keks. Es ist das Beste, was dir passieren kann, wenn du ein Ziel hast. Ich sehe das immer an meinem Studium. Viele fangen an und hören dann auf, weil sie kein Ziel darin erkennen. Ich glaube, dass die Menschen, die solche Zweifel haben, sich einfach selbst nicht trauen würden, so ein Ziel zu verwirklichen und das ist fast schon traurig.“ Damit bestätigte er haargenau meine eigene Meinung, ohne dass ich sie ihm gesagt hatte.

 

Matteo beugte sich nach vorne zu seinem Rucksack und kramte darin herum. Nach ein paar Sekunden zauberte er zwei Müsliriegel hervor und hielt mir einen davon hin. Dankbar nahm ich ihn an und begann ihn auszupacken. Ich hatte bis eben nicht bemerkt, wie viel Hunger ich eigentlich hatte. Wegen des ganzen Stresses vor der Abfahrt am Bahnhof, hatte ich vergessen, mir etwas zu essen einzupacken. Zwischen zwei Bissen nuschelte ich ein „Danke“ an Matteo. Der hatte ebenfalls begonnen den Riegel zu essen und ließ das Papier in einer seiner Jackentaschen verschwinden. Banane-Schokolade. So ziemlich die einzige Sorte, die ich aß, obwohl mir das gerade doch egal war, denn mein Magen knurrte laut vor sich hin.

 

Matteo schluckte den letzten Rest herunter und redete direkt weiter:     „Da bestätigt dir dein komplettes soziales Umfeld immer, dass du alles erreichen kannst, was man will und irgendwann kommen sie mit den angeblichen Problemen um die Ecke. Natürlich sind das Dinge, die man beachten muss, aber das ist doch kein Grund, seinen Traum nicht erreichen zu können.“

 

Auch ich war mittlerweile fertig und nickte ganz begeistert. „Ich glaube, wir sind sowas wie Seelenverwandte. Wir denken fast das Gleiche“, rutschte es mir in der Eifer des Gesprächs heraus.

   „Aha, Seelenverwandte.“ Matteo machte ein vielsagendes Gesicht und ich konnte nicht anders, als ihm in den Arm zu boxen.

 „Jetzt wird sie hier auch noch angriffslustig“, stellte mein Wegbegleiter amüsiert fest.

  „Wenn du meine Worte immer so falsch interpretierst!“, feuerte ich zurück. „Aber jetzt mal im Ernst. Man bekommt den Wind schon aus den Segeln genommen, bevor man überhaupt den Hafen verlassen hat.“ „Nette Metapher, Marley. Worauf willst du dich eigentlich spezialisieren?“

 

Ich schloss einen Moment die Augen und überlegte, was ich sagen sollte. „Eigentlich würde ich gerne im Carlsen-Verlag anfangen. Dann ist die Richtung eigentlich klar. Aber ansonsten, ich weiß nicht so wirklich. Mich faszinieren die Geschichten meiner Mitmenschen. Irgendwie fällt mir immer mehr auf, dass so viele Geschichten verloren gehen. Weil sie nicht weiter erzählt werden oder die Menschen nicht mehr da sind, um sie erzählen zu können. Letztendlich findet man irgendwann Überreste dieser Geschichten und kann sie nicht mehr zusammensetzen. Ich glaube, dass jede Erzählung es verdient hat von der Welt gehört zu werden. Darin stecken meistens so viele Emotionen und Erinnerungen. Es ist das Einzige, was von uns am Ende des Tages übrig bleibt, das, was uns glücklich macht, das, was uns am Leben erhält. Für die Ewigkeit.“

Matteo hatte sich während meines kleinen Vortrages in den Sitz gelehnt und wurde unterbrochen, bevor er etwas sagen konnte. Der Lautsprecher knackte und eine Stimme kündigte den nächsten Bahnhof an. Wir starrten beide auf den kleinen Kasten über der Tür, ohne wirklich zuzuhören und warteten ab, bis er verstummte.

„Ich glaube“, fing Matteo langsam an, „da hast du dir was ganz schön Großes vorgenommen. Aber ich zweifle nicht daran, dass du es schaffst.“

 

Durch seine Bestätigung schlug mein Herz automatisch höher. Ich hatte nie jemandem von dieser Idee erzählt. Letztendlich musste ich mir bewusst sein, dass man damit kein Geld verdienen konnte und es somit eigentlich nicht infrage kam. Aber Matteo weckte in mir auf diese bestimmte Weise den Willen, es trotzdem zu versuchen.

   „Sieh dir mal die Menschen an, die nach Jahren ihr altes Tagebuch wieder finden. Schau dir ihre Gesichter an. Oder das Lachen in ihren Augen, wenn sie von Ereignissen erzählen. Für mich ist das die Definition von Leben“, sprudelten die Worte nur so aus mir heraus.

 

Das Quietschen von Bremsen erklang genau in diesem Moment und wir wurden in unsere Sitze gedrückt. Mit einem Schrecken fiel mir auf, dass das, was ich draußen sah, Bremen sein musste.

„Matteo, ich muss hier aussteigen. Mein Koffer!“

 

 Ab da ging alles ziemlich schnell. Matteo stand auf und holte meinen Koffer von der Ablage. Ich schnappte mir in der Zeit mein Buch und verfrachtete es in den Rucksack. Mit einem Ruck setzte ich ihn auf. Der Zug war bereits in den Bahnhof eingefahren und die meisten Gäste standen schon vor den Türen, die sich im selben Moment öffneten.

 

Ich wollte nach meinem Koffer greifen, doch Matteo zog diesen ganz selbstverständlich durch den Gang und mir blieb nichts anderes übrig, als hinterherzulaufen. Wir stiegen gemeinsam aus dem Zug und zumindest ich fühlte mich ein wenig verloren. Bis ich meine Schwester mit ihrem Auto weiter weg stehen sah.

   „Du musst doch noch weiter“, meinte ich zu Matteo.

„Kein Problem. Ich möchte mich nur noch nicht so schnell von dir verabschieden müssen.“

 

Dieser Satz verursachte ein warmes Gefühl in mir und die Wärme breitete sich in meinem ganzen Körper aus. Urplötzlich schoss mir durch den Kopf, wie privat unser Gespräch eben war und mir wurde augenblicklich wieder kalt. Matteo vertraute ich, aber trotzdem war es mir wichtig, ihm das auch nochmal mitzuteilen was ich jetzt sagen würde. „Aber erzähl es niemandem. Bitte.“

 

Ich hatte mich zwar Matteo anvertraut, doch bei ihm hatte ich auch das Gefühl, dass er mich verstand. Er nickte mir verständnisvoll zu und reichte mir den Koffer. Ich nahm ihn und hatte mich bereits zu meinem wartenden Taxi umgedreht, als mir nochmal etwas einfiel.

 „Wollen wir Nummern austauschen?“ In Matteos Augen blitzte etwas auf, das ich nicht definieren konnte. „Wir werden uns bestimmt noch einmal begegnen.“ Ich starrte ihn einen Moment an und überlegte, was er damit meinen könnte, als meine Schwester mich entdeckte und nach mir rief.

   „Du musst los“, stellte Matteo fest und ich nickte. „Hoffentlich sehen wir uns wirklich wieder. Viel Glück bei deinem Studium.“

 

Mit diesen Worten drehte ich mich um und rannte mit meinem Koffer im Schlepptau über eine Brücke zum Überqueren der Gleise zum Auto. Ich merkte, wie Matteo immer noch da stand und mir zusah, wie ich mein Gepäck in den Kofferraum verfrachtete.

 

Bevor ich die Autotür hinter mir schloss, rief er quer über den Bahnhof hinweg: „Verwirkliche das, was dich glücklich macht. Lass dich nicht ausbremsen, du wirst das erreichen, was du dir wünschst. Auch, wenn es noch so absurd klingt. Ich freue mich von deiner Geschichte zu hören, wenn du all die anderen niedergeschrieben hast“

   Die Autotür fiel zu, meine Schwester startete den Motor und wir fuhren los. „Wer war das?“, fragte sie beiläufig. Ich überlegte nicht lange, während die Landschaft an uns vorbeisauste. „Ein Freund.“

 

 

ENDE

 

 


Melanie Kleinschmidt

 

Als noch Schülerin habe ich mich – was meine berufliche Ausrichtung anbelangt, noch nicht festgelegt, doch im weitesten Sinne möchte ich mich dafür einsetzen, hilfebedürftige Menschen zu unter-stützen. Möglichkeiten dafür sehe ich im politischen als auch im psychologischen Bereich. Meine christliche Weltanschau-ung begreift als oberstes Ziel, ein geordnetes, erfülltes Leben und dabei andern Menschen Hilfe anzubieten. Nach der Schulzeit werde ich sehen, inwieweit sich meine Pläne in die Praxis umsetzen lassen.

 

Zurzeit sind meine Schwerpunkte lesen und schreiben. Auch treffe ich mich mit Freunden zum Diskutieren und arbeite ebenso gerne im Garten. In der Schule sind Englisch und Religion meine Favoriten-Fächer. Ein weiteres Hobby; ich lasse mich mit Vorliebe für Schreib-wettbewerbe begeistern.

 

 

 

 DIE EIGENEN TRÄUME WAHRMACHEN

(Urheberrechte & Copyrights © by Melanie Kleinschmidt)

 

Träume. Ein großes Wort. Wenn man jung ist, hat man viele. Realistische, unrealistische, große, kleine, doch je älter man wird, desto mehr verblassen die Träume, werden morbid, stauben ein.  

 

Auch ich hatte und habe diese Träume, wie fast jeder andere Mensch auch. Viele habe ich längst wieder verworfen, zum Beispiel, dass ich Verkäuferin sein oder ein eigenes Restaurant eröffnen will. Manche sind auch geblieben, unter anderem, dass ich Menschen helfen möchte. Doch ich kann sagen, dass, je älter ich werde, desto mehr kommen dazu, desto klarer werden meine Träume. Mittlerweile habe ich schon so eine grobe Vorstellung. Ich möchte ein guter Mensch sein und werden, anderen Menschen in Not helfen, etwas bewegen und meinen Fußabdruck in der Gesellschaft und den Geschichtsbüchern hinterlassen. Wenn ich die Erde einmal verlassen habe, soll sich die Welt an mich erinnern, über mich, meine Theorien, Gedanken, Taten nachdenken, sich inspiriert fühlen, hitzig diskutieren und meine Persönlichkeit hinterfragen. Was ich mir dabei gedacht habe, was mein Ziel war, von wem ich mich inspiriert lassen habe. Mir ist bewusst, wie das klingt, ich bin 16, habe noch nie groß etwas bewegt, bin weder erfolgreich oder berühmt und von Revolution ist im Moment auch noch keine Spur. Noch. Doch wie gesagt, Träume spiegeln unsere tiefsten Herzenswünsche und nicht die Realität wider.  

 

Ich bin mir nicht sicher, was ich konkret später mal machen möchte. Zwar ziehen meine Träume bestimmte Berufe und Lebenswünsche eher in Betracht und grenzen andere dann wieder aus, doch ich könnte zum heutigen Zeitpunkt in Sachen beruflicher Karriere nur sagen, dass ich gerne Bücher schreiben möchte. Doch möchte ich das nicht als einziges machen, sondern eher so nebenbei als Hobby. Vielleicht könnte ich als Therapeu-tin arbeiten, Menschen helfen, glücklich zu sein und die Sonne wiederzusehen. Vielleicht könnte ich als Lehrerin Kindern beibringen, ihre Träume zu verwirklichen und es besser machen als meine Lehrer damals bei mir. Ich würde mich einfach gerne mal ausprobieren, neue Leute und Länder, Kulturen und Traditionen kennenlernen. Alles und nichts machen. Irgendwie. 

 

Vielleicht sitze ich später auch auf der Insel der vergessenen Träume, bin weder ein guter Mensch noch erfolgreich oder berühmt geworden. Nur älter. Davor habe ich Angst. Für mich bedeuten Träume nicht automatisch etwas Gutes. Ja, sie können uns in die richtige Richtung leiten, uns den Schubs geben, inspirieren, uns in ein Stadium der Hochstimmung versetzen. Sie können uns helfen, unsere Wünsche besser zu verstehen. Doch in einer Gesellschaft, die vom Kapitalismus, einer florierenden Wirtschaft und der Börse geprägt und regiert ist, zählt Geld eben mehr als Träume. Sie geht davon aus, dass jeder nur nach vorne und nicht nach links oder rechts schaut. Oft wird mir das Gefühl vermittelt, träumen sei, wenn überhaupt, nur Zeitvertreib und biete keine wirkliche Zukunft. Kaum einer wird dich später fragen, wovon du träumst und geträumt hast, was du wirklich denkst, was dich glücklich macht. Davon gehe ich zumindest aus.

 

Jedenfalls habe ich kaum einen Erwachsenen getroffen, der sich aufrichtig für die Träume von anderen interessiert hat. Je mehr du träumst, je fester du dich an deine Träume klammerst, ihnen Bedeutung zumisst, je größer und detailreicher sie werden, desto tiefer kannst du fallen. Dieses Problem zu lösen und die Möglichkeiten für Träume und Träumer zu erweitern, oder zu mindestens einen größeren Platz für alle zu schaffen, die anders als die Norm denken und leben wollen, wäre ebenfalls ein Traum von mir, den ich aber nicht ganz alleine bewältigen kann. Es braucht eine Gesellschaft, die bereit ist, sich auf Neues einzulassen. Es müsste ein allgemeines Umdenken stattfinden, was im Moment allerdings noch in weiter Ferne scheint. Dieser Traum wird zu meinen Lebzeiten wahrscheinlich noch nicht erfüllt sein. Wie viele vor und nach mir, werde ich höchstwahrscheinlich nur ein Teil dieser, vielleicht unendlich langen Kette von mutigen KämpferInnen sein, die den gleichen Traum, das gleiche Ziel verfolgten. Jedenfalls braucht es immer wieder Menschen, die sich den vielfältigen Problemen dieser Gesellschaft stellen und für ihre Träume und die der Anderen kämpfen. Damit der Traum von einer besseren Welt nicht ganz aus dem Fokus gerät.  

 

Auf der anderen Seite sollte man nie aufhören zu träumen. Träume haben schon Berge versetzt und können uns zu besseren Menschen machen. Wenn man einen bestimmten Traum, so banal oder unmöglich er auch erscheint, schon lange hatte, ihn richtig fühlt, dann ist das in meinen Augen so etwas wie Schicksal. Dann wartet dieser Traum nur darauf, gelebt zu werden. Bei mir ist das zum Beispiel das Schreiben. Ich weiß nicht, ob ich Talent habe, ob sich Leute für meine Texte begeistern können, doch ich möchte es mit diesem Text zu mindestens einmal versuchen, um meinem Traum ein Stückchen näherzukommen. Ich möchte Leute zum Nachdenken bringen und in meinen Augen kann man das am besten mit Kunst (in welcher Form auch immer).  

 

So versuche ich nun also, in diesen paar Zeilen Kunst zu machen und Leute zum Nachdenken zu bringen. Vielleicht trage ich ja damit bei, dass sich der ein oder andere doch mal zum Träumen inspiriert fühlt. Wenn ja, dann würde es mich sehr freuen.  

 

Es ist schwierig einen Aufsatz über Träume zu schreiben, über den andere nachdenken, viele Menschen anspricht. Irgendwie möchte ich ja auch, dass sich der eine oder andere wieder-erkennt, identifiziert oder meine Träume und die damit verbundenen Hürden zu mindestens mal ansatzweise nachvollziehen kann. Doch auf der anderen Seite: Wer interessiert sich schon für die Träume eines 16-jährigen Mädchens und denkt darüber nach? 

 

Das größte Problem, das ich habe, damit meine Träume nicht nur Träume bleiben, sondern in Erfüllung gehen, ist, wie ich diese Träume verwirkliche. Wie anfangen? Wo anfangen? Wenn ich träume, dann bin ich schon erfolgreiche Schriftstellerin, helfe schon Menschen, befinde mich bereits auf Weltreise. Wie ich das überhaupt anstelle, dass ein Verlag mich überhaupt nimmt, meine Bücher im Schaufenster liegen, wie ich an Geld für meine Reisen komme, darauf geben mir meine Träume keine Antworten. Die muss ich selber finden. So funktioniert es eben. Der Träume an sich bedarf es Kreativität, Passion, Muse und Fantasie, der Umsetzung Geduld, Nerven, Engagement und hartes Arbeiten. Bin ich überhaupt bereit dafür? Werde ich es überhaupt jemals sein? Ich musste mich nie selbstständig beweisen, wurde nie ins kalte Wasser gestoßen. Die Schule, die Gesellschaft, meine Eltern nahmen mir die wichtigen Entscheidungen ab, gingen davon aus, dass das schon das Richtige sein würde. Doch war es das? Wenn ich erwachsen bin, werde ich ins kalte Wasser springen müssen, auf mich gestellt sein, Träume hin oder her. 

 

Es ist schwierig, nachhaltig und beständig an seinen Träumen zu arbeiten, für sie zu kämpfen. Oft lässt man sich dann auf faule Kompromisse ein, ist zu bequem. Schiebt den ganz großen Traum in die Zukunft, eine Zukunft, die es nie geben wird. Besonders vor der praktischen Umsetzung habe ich Angst und davor, niemanden mehr zu haben. Natürlich, meine Eltern und Freunde helfen mir, auf sie kann ich zählen, wenn ich am Boden bin, dass sie mir wieder aufhelfen. Ihnen habe ich viel zu verdanken, sie gaben und geben mir Raum und Zeit, Ansporn und Inspiration. Sie kann ich für meine Ideen begeistern und manchmal sogar zum Mitmachen bewegen. Doch ob sie wissen, was wirklich in mir vorgeht, was ich wirklich will, das weiß ich nicht. Somit bin ich vielleicht in der ein oder anderen Hinsicht doch eher auf mich gestellt. Ich bin mit dem Erzählen meiner Träume immer sehr sparsam, deswegen ist das hier ein großer Schritt für mich. Hätte ich mich früher getraut, jemandem das alles hier anzuvertrauen, dann wäre ich meinem Traum vielleicht schon ein Stückchen näher, hätte schon eher Feedback und Unterstützung bekommen. Manchmal stehe ich mir eben selbst im Weg, obwohl ich das bestimmt nicht immer merke. Nur, sage mal einer nach außen hin eher introvertiert wirkender Person, sie soll jetzt endlich mal selbstbewusster sein, die Dinge selbst in die Hand nehmen, für sich einstehen. Manchmal habe ich das Gefühl, ich werde für meine Träume stigmatisiert und stehe ganz alleine mit ihnen da. Wahrscheinlich ist das ein ungerechtes Vorurteil, aber wenn man keinen hat, mit dem man sich austauschen kann, keinen, der so denkt, dann fühlt man sich automatisch alleine. Diese Unsicherheit hat mich schon manche Chance gekostet, genauso wie meine Angewohnheit, meine Träume immer in die Zukunft zu schieben. Anstatt sie jetzt anzugehen, träume ich nur weiter vor mich hin und merke damit nicht, dass dadurch meine Chance auf Erfüllung kleiner werden könnte. Zum Beispiel habe ich die Möglichkeit auf ein Stipendium für ein Auslandsjahr in den USA in der 11. Klasse verpasst, weil ich mich zu spät gekümmert und überhaupt nicht nachgedacht habe, wie sich das praktisch überhaupt umsetzen lässt. Aufgrund dieser Patzer, dieser verpassten Chancen besteht natürlich dann auch die Angst, es auch im späteren Leben nicht zu schaffen, sondern nur auf den Träumen hocken zu bleiben. Da verliert man schnell mal das letzte Fünkchen Mut und Hoffnung.  

 

Der erste Schritt ist es ja, überhaupt mal hinter den Träumen zu stehen und dies auch nach außen hinzuzeigen, sie nicht aus den Augen zu verlieren. Doch wie kann ich denn überhaupt gegen den Strom schwimmen und mich gegen die breite Masse durchsetzen? Wie kann ich anders sein und die anderen trotzdem verstehen? Sie erreichen und trotzdem damit klarkommen, wenn mir Gespött und Ablehnung entgegenschlägt? Fragen, die mich jetzt als Jugendlicher immer öfter und intensiver beschäftigen. Ich denke, das Problem ist, dass viele, darunter auch ich, sich nicht trauen, unsere, manchmal doch etwas „abgespacten“ Träume an die Öffentlichkeit zu tragen, da diese in den Augen der Gesellschaft nicht “normal” sind und man deshalb von besagter mit hochgezogenen Augenbrauen beurteilt wird. Die Definition, was normal ist und was nicht, liegt ja uns allen, doch ist es alles andere als einfach sich an der Gestaltung dieser Definitionen zu beteiligen. Automatisch passiert es da, dass man zum Mitläufer wird, sich den Klischees, den Trends, den Vorstellungen beugt und nur im Kleinen seine wahre Identität auslebt, um Auseinandersetzungen und schiefen Blicken aus dem Weg zu gehen. Auf der anderen Seite will doch jeder mitreden, seine Meinung kundtun, Aufmerksamkeit bekommen, doch keiner will den anderen ausreden lassen, andere Meinungen zu mindestens mal anhören, Aufmerksamkeit schenken. 

 

Vermutlich wird das dann als Schwäche ausgelegt, nicht nur auf die eigenen Rechte zu pochen und auch mal nach links und rechts zu schauen. Verständlich, in einer Gesellschaft wie dieser will sich keiner die Butter vom Brot nehmen lassen, da dies verheerende Folgen mit sich ziehen und man dann ganz schnell mal weg vom Fenster sein kann. Doch zu welchem Preis denken und handeln wir so? Merken wir in unserer kommerziellen und auf materielle Sicherheit gestützten Haltung nicht, dass uns genau diese in unserem Miteinander einschränkt und den Horizont einengt? Uns nicht Türen öffnet, sondern verschließt? Dass ein Umdenken stattfinden muss, damit wir mehr geben und nehmen können? Je älter man wird, desto schwieriger ist es, zuzuhören, sich auf andere einzulassen, mit und nicht gegen sie zu diskutie-ren. Dann ist Zeit Geld und diesem muss man dann auch noch hinterherjagen. Dann möchte man nicht auch noch in der Freizeit mit den Problematiken der Gesellschaft, den Begehren der Anderen konfrontiert werden. Nach dem Motto “Es geht mich ja nichts an” geht vieles unter, was eigentlich im Fokus stehen müsste: Krieg, Hunger, die Umwelt, die soziale Ungerechtig-keit. Obwohl man die Krisen unserer Zeit doch auf jedem Titelblatt der Zeitungen, an jeder Straßenecke, in jeder Nachrichtensendung mit eigenen Augen wahrnehmen kann. 

 

Doch, wenn man es gerade schafft, mit seinem Leben fertigzuwerden, warum sollte man sich dann die Probleme der anderen anhören und dafür Lösungen finden? Wofür? Wenn kein Gewinn dabei herausspringt, mit dem man sich ein Statussymbol setzen oder etwas kaufen kann, dann ist das in den Augen der meisten Zeitverschwendung. Indem wir uns gegenseitig nicht akzeptieren, zu schnell über unsere Mitmenschen und deren Träume und Vorstellungen urteilen, den Worten der anderen keine Bedeutung zumessen und unsere Meinung als die einzig Wahre proklamieren, stehen wir uns im Weg, anstatt uns zu helfen. Wir machen uns, unsere Umwelt und unsere Mitmenschen mit dieser Attitüde kaputt und merken es nicht einmal. Wir zeigen zu wenig Verständnis füreinander. Wir bauen Mauern, wo wir eigentlich Hütten des Friedens errichten sollten. Der Traum von einer friedlichen Welt mit Gleichberechtigung und Wertschät-zung, Verständnis und Liebe, unter diesen Umständen scheint er zum Scheitern verurteilt.  

 

Trotzdem, ich gebe die Hoffnung nicht ganz auf. Mit einem offenen Ohr, zu mindestens etwas Menschlichkeit und einer Vision könnte ich, könnten wir es schaffen. Dazu muss ich jedoch zuerst bei mir anfangen, meine Vorurteile ablegen, mich auf Neues einlassen, den Menschen mit offeneren Armen entgegentreten, mehr zuhören, ihnen Zeit lassen. Meine persönlichen Erwartungen und Wünsche zurückschrauben, weniger verlangen und mehr geben. Dazu gehört jedoch auch, sich Fehler einzugestehen und versuchen nachhaltig an diesen zu arbeiten. Auch wenn das schwierig klingt, unmöglich ist es nicht. 

 

Für meinen Traum, eines Tages als freie Schriftstellerin für Frieden, Akzeptanz und Vielfalt zu schreiben, muss ich mehr an mich glauben, versuchen meine Geschichten mehr an die Öffentlichkeit zu tragen und somit konstruktives Feedback erhalten. Dadurch versuchen mehr Menschen zu erreichen und mich nach welchen umschauen, denen meine Werke gefallen und die bereit wären, mich zu unterstützen. Auf keinen Fall sollte ich meinen Traum aus den Augen verlieren und mich in eine Schublade stecken lassen, in die ich nicht gehöre. Damit werde ich definitiv nicht glücklich. Außerdem nehme ich mir vor, nach meinem Abitur etwas zu studieren, was mich erfüllt, in dem ich einen Sinn sehe, wie zum Beispiel Theologie, Psychologie, Philosophie, Geschichte oder Literatur. Natürlich könnte sich die Richtung noch ändern, ich könnte auch eine Ausbildung beginnen oder sonst etwas tun, jedoch sollte es mich glücklich machen. Ich finde, jeder Mensch hat es verdient, etwas arbeiten zu dürfen, woran er Freude hat, solange er damit niemanden verletzt. Ich hoffe, dass ich bald weiß, was ich konkret arbeiten möchte, damit ich mir überlegen kann, wie ich das umsetze und angehe. Dies könnte mich noch einen ganzen Schritt voranbringen und das Lernen und der Fleiß würden sich auszahlen. 

 

Auf jeden Fall, und das ist mein größter Traum, möchte ich am Ende meines Lebens sagen können, dass ich das Richtige getan und meinen Traum gelebt und durchgezogen habe. Ich denke, jedem Menschen, egal wie alt oder jung und welche Träume er hat und hatte, kann kein größeres Glück zuteilwerden, als ehrlich von sich sagen zu können, das Richtige getan zu haben. Dann haben sich alle Anstrengungen, Entbehrungen und Demütigungen aus meiner Sicht gelohnt. Dann hat man seinen Traum wirklich gelebt. 

 

 

 

ENDE