Poesie Truhe

 

 Wer in der Dichtkunst zu Hause ist, wäre ein Poet, also ein Künstler. Behaupten die einen. Andere wiederum machen daraus eine Wissenschaft und wollen belegen, dass innerhalb einer Kunst auch noch Unterteilungen und definierte Variationen nach bestimmten Kriterien erkannt und nur dadurch auch anerkannt werden können. Unsere ist eine tolerantere. Ein guter Handwerker, egal auf welchem Gebiet, leistet wertvolle Arbeit. Wenn er innerhalb seiner guten Werke über sich hinauswächst, avanciert er zum Künstler bis hin zum Genie. Spätestens da hat die Wissenschaft gar nichts mehr verloren, denn sie normt nur und engt ein, verhindert Virtuosität und Grandioses. 

Wir freuen uns deshalb, hier originelle und ausgesuchte Werke vorstellen zu dürfen.

 

Gute Unterhaltung!

 

 

 

 

 

 

Ausgesucht von Bernhard Horwatitsch

 

 

Andreas Gryphius …

… schrieb in weiser Voraussicht dieses Gedicht

bereits im 17. Jahrhundert, für alle diejenigen, die

glauben, sie und ihr einfältiges Getue wäre wichtig

auf dieser abfackelnden Welt!

 

 

„Du sihst/ wohin du sihst nur Eitelkeit auff Erden.
Was dieser heute baut/ reist jener morgen ein:
Wo itzund Städte stehn/ wird eine Wiesen seyn/
Auff der ein Schäfers-Kind wird spielen mit den Herden.

Was itzund prächtig blüht/ sol bald zutretten werden.
Was itzt so pocht vnd trotzt ist morgen Asch vnd Bein/
Nichts ist/ das ewig sey/ kein Ertz/ kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück vns an/ bald donnern die Beschwerden.

Der hohen Thaten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit/ der leichte Mensch bestehn?
Ach! was ist alles diß/ was wir vor köstlich achten/

Als schlechte Nichtigkeit/ als Schatten/ Staub vnd Wind;
Als eine Wiesen-Blum/ die man nicht wider find’t.
Noch wil was ewig ist/ kein einig Mensch betrachten!“

 

 

 

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DIE ZWEI SEIDENDAMEN

 

Urheberrecht & Copyright © by Finn Lorenzen

 

 

Einst haben sich zwei junge Damen

Für ihren Dienst herausgeputzt

Und harrten derer, die da kamen.

Da wurd‘ die Zeit zum Schwatz genutzt.

Wie’s sich ergab, haben sich beide

Ein feines Leben ausgemalt.

So nahmen sie im Tausche Seide,

Da niemand mehr mit Geld bezahlt.

 

„Nach mehr kann eine Frau nicht streben“,

Verriet die Erste allzu laut,

Der Stoff schmückt nicht nur Leib und Leben

Er schmeichelt auch noch meiner Haut.

Solang‘ die Herren Seide bringen,

Bin ich zufrieden und adrett

Und träume kaum von and’ren Dingen.

Für wahr, mein Leben ist komplett.“

 

Da sprach die Zweite auch nicht leise:

„Wer meine Liebe kaufen mag,

Der zahlt mir zweimal deine Preise,

Und dreimal jeden Donnerstag.

 

Daheim türmt sich ein Seidenhaufen.

Was ich nicht trage, kommt dorthin.

Damit werd‘ ich was Schönes kaufen,

Wenn ich erst recht vermögend bin.“

 

Da hörte man die Erste geifern:
„Was, zweimal für die gleiche Pflicht?!

Das klingt nach nimmersattem Eifern!

Die Herren mögen sowas nicht!“

„Und dennoch kommt man, um zu ordern“,

Verriet die Zweite allzu gleich,

„Ich war nur dreist genug, zu fordern.

Jetzt bist du schön, doch ich bald reich. 

 

Der Mensch braucht Größen, um zu handeln,

Und ist’s nicht Geld, dann ist es Stoff.

Er kommt, um mit mir anzubandeln

Und löhnt so viel, wie ich’s erhoff.“

Da kam ein Mann mit Spaß am Leben

Und gab der Zweiten seufzend Recht.

Auch ohne Geld lernt Gier zu weben,

 

Und lernt es dabei gar nicht schlecht. 

 

 

                      Finn Lorenzen

 

 

 

SEIDENBLÜTE